Am 23. Juni 2021 fand die letzte Hauptverhandlung im Fall eines Bonner AfD-Funktionärs wegen gefährlicher Körperverletzung und Unfallflucht statt. Der Prozess wurde am 20. November 2019 erstmals verhandelt und zog sich dann über ein Jahr hin.
Was geschah im April 2019?
Der Prozess bezog sich auf ein Ereignis aus dem Jahr 2019. Am 7. April fand im Rahmen des Europawahlkampfes eine Veranstaltung der „Alternative für Deutschland“ im Kalker Bürger*innenhaus in Köln statt. Die Veranstaltung wurde von rund 2.000 Protestierenden begleitet. Am Abend fuhr Felix Alexander C. mit einem Bekannten zurück nach Bonn. Auf dem Nachhauseweg kam er wenige Meter vom Veranstaltungsort entfernt an einer Ampel zum Stehen. Auf dem Übergang befand sich eine Fußgänger*innengruppe, die größtenteils aus Gegendemonstrant*innen bestand. Diese bewegten sich langsam über die Straße und verhinderten so, dass das Auto trotz Grünphase fahren konnte. Daraufhin fuhr C. mit dem Auto so nah an die Gruppe heran, dass er eine Person an den Beinen berührte und ihn leicht vorschob, um ihn zum Weitergehen zu bewegen. Als dies scheiterte, setze er kurz zurück und fuhr, sich teilweise auf der Gegenfahrbahn befindend, erneut los. Dabei touchierte er einen Rollstuhlfahrer und fuhr einen Menschen an. Diese Person, die im Prozess als Nebenkläger auftrat, sprang, um nicht umgefahren zu werden, auf die Motorhaube des Wagens und konnte nach wenigen Metern abspringen. Statt Erste Hilfe zu leisten, fuhr C. mit aufheulendem Motor davon. Der Nebenkläger erlitt Verletzungen an beiden Knien und kam ins Krankenhaus.
Wer ist Felix Alexander C.?
Felix Alexander C. ist stellvertretender Sprecher der Bonner AfD und sitzt für die Partei in der Bonner Bezirksvertretung. Weiter bekleidet der 24-Jährige das Amt des Schatzmeisters der „Jungen Alternative NRW“ und tritt für die „Junge Alternative Köln“ als stellvertretender Sprecher auf. Neben seinen Aktivitäten für die Partei ist er Mitglied der pflichtschlagenden Bonner Burschenschaft Frankonia mit dem Wahlspruch „Freiheit – Ehre – Vaterland“. Auch sein Verteidiger Hans-Georg Balder gehört dieser Burschenschaft an.
Der Prozess
Während des gesamten Prozesses, der auch von weiteren AfD-Mitgliedern und Sympathisant*innen besucht wurde, inszenierte sich C. als „Opfer“. Dennoch trat er selbstbewusst und eloquent auf, wusste sich zu artikulieren und in Szene zu setzen. Während viele vernommene Zeug*innen immer wieder betonten, dass der Unfall nun schon über ein Jahr zurückliege und sie sich nicht mehr genau erinnern könnten, strotzte C. vor Erinnerungen. Weiter brachte er sich immer wieder aktiv in die Verhandlung ein, indem er von seinem Recht Gebrauch machte, die Zeug*innen ebenfalls zu befragen. C. kreierte mit seinen Schilderungen zum 7. April ein Szenario, das von Angst geprägt gewesen sei. Er sei geschockt gewesen, wie stark die Aggression gegenüber der AfD-Veranstaltung allgemein und gegenüber ihm gewesen sei. Ihm sei bei der Ankunft sogar von Gegendemonstrant*innen der Hut vom Kopf geschlagen worden. Er sei jedoch noch unverletzt bei der Veranstaltung angekommen. Weiter betonte C., dass er mit geholfen habe, den Veranstaltungsraum von dem Müll zu säubern, den die Gegendemonstrant*innen hinterlassen hätten. Was all dies mit dem Thema der Hauptverhandlung zu tun hatte, blieb offen. Weiter erzählte C., dass er und sein Begleiter von zwei Vermummten verfolgt worden seien, als sie zu ihrem Auto wollten, um nach Hause zu fahren.
C. berichtete, dass er auf dem Nachhauseweg mit dem Auto an einer roten Ampel unweit des Veranstaltungsortes stehen bleiben musste. Das Auto sei daraufhin von einer Gruppe Gegendemonstrant*innen umringt worden, obwohl die Gegenkundgebung bereits beendet worden war. Diese Gruppe sei aggressiv vorgegangen. C. fühlte sich so bedroht, dass er die Verriegelung des Autos überprüfte, kurz bevor an den Türen gerüttelt und an den Fenstern getrommelt worden sei. Eine Person soll sich mit erhobener umgedrehter Bierflasche der Beifahrertüre genähert haben. C. habe derart eingeschlossen in seinem Auto Angst gehabt. Draußen sei es bereits dunkel gewesen. Daraufhin sei er mit dem Auto zurückgefahren, habe eine Lichthupe getätigt und sei langsam auf die Gegenfahrbahn gefahren, um die Gruppe zu umfahren und der Situation zu entkommen. In diesem Moment sei der Nebenkläger auf das Auto gesprungen. Keine anderen Zeug*innen bestätigten jedoch diese Version. Auch der Beifahrer C.s erinnerte sich nicht an eine erhobene Bierflasche. Laut seiner Aussage wurde auch nicht auf die Scheibe der Beifahrerseite geschlagen. Der Nebenkläger betonte seinerseits, dass er keinen anderen Ausweg gesehen habe, als auf das Auto zu springen, um nicht darunter zu landen.
In dem Prozess nutzte C. die Bühne, um sich und die AfD als „Opfer“ zu inszenieren und den Fokus weg von seiner Tat der gefährlichen Körperverletzung auf die „aggressive Gegenseite“ und die von ihr ausgehende Gewalt zu lenken. Sein Anwalt versuchte eine Rechtfertigung der Handlung, indem er Zeug*innen Fragen stellte wie: „Wurden böse Sachen gerufen wie „Nazis raus!“ oder „Wir schlagen euch tot!“?“ Im Mittelpunkt des Prozesses stand die Frage, wer Schuld an dem Unfall trug und wer wen angegriffen hatte. Hatte die Gruppe um den Nebenkläger diesen Unfall provoziert und C. somit einen Grund gegeben, in die Gruppe zu fahren? Dabei entstand mitunter der Eindruck, dass weniger das Tatgeschehen, als vielmehr die Stimmung und die Ideologie der als „linke Gegendemonstrant*innen“ assoziierten Personen untersucht wurde, während das Handeln und die Ideologie des Bonner Parteifunktionärs ausgespart wurde.
Entscheidende Fragen wurden nicht gestellt. So wurde sich nicht erkundigt, ob es für C. auch andere Optionen gegeben hätte, aus der für ihn subjektiv beängstigenden Situation heraus zu kommen. Es wurde nicht gefragt, warum er nicht einfach wendete und in die entgegengesetzte Richtung davonfuhr. Es wurde nicht gefragt, warum er oder sein Beifahrer nicht die Polizei verständigte, sowohl vor als auch nach dem Hergang.
Ein vom Unfall existierendes Video zeigt, wie der Nebenkläger auf der Motorhaube des Autos hängt und abspringt. Anhand dieses Videos konnte ein Sachverständiger die ungefähre Fahrtgeschwindigkeit des Autos ermitteln (zwischen 8 und 10 km/h). Er betonte, dass eine Geschwindigkeit von 8 km/h schon enorm sei und zu ernsthaften Verletzungen führen könne.
Plädoyer der Staatsanwaltschaft
Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn benannte die politische Komponente des Prozesses. Er erklärte, dass die Gegendemonstrant*innen C. wahrscheinlich provozieren wollten, als sie langsam über die Ampel gingen. Daraufhin provozierte C., indem er vorfuhr und eine Person der Gruppe an den Beinen berührte. Als Reaktion klopften diese auf die Motorhaube und riefen ihm Parolen zu. Infolge dessen fuhr C. zurück und stoisch geradeaus, womit er auf den Nebenkläger zuhielt. Dieser sprang auf die Motorhaube, um der Situation zu entkommen. Für Willuhn sei es irrelevant, wie schnell das Auto gewesen sei, sondern für ihn spielte die Frage, ob das Ganze gefährlich war, eine größere Rolle. Der Nebenkläger hätte auch mit den Beinen unter dem Auto landen können, wäre er nicht so sportlich gewesen. Demnach sei für Willuhn bestätigt, dass das Auto verkehrswidrig verwendet wurde. Laut ihm verwendete C. das Auto in diesem Moment als Waffe. Dennoch räumt der Oberstaatsanwalt ein, das C. nicht primär die Absicht verfolgte, den Nebenkläger zu verletzen.
Den Tatbestand der Notwehr sah Willuhn, wie er betonte, nicht bestätigt. Einerseits stellte das langsame Überqueren der Straße keinen rechtswidrigen Angriff dar, gegen den C. sich hätte verteidigen dürfen, andererseits nutzte C. nicht das gebotene Mittel. Wenn mit unangemessener Geschwindigkeit auf Menschen zugefahren wird, stelle dies kein gebotenes Mittel für Notwehr dar. Willuhn sah aufgrund der Zeug*innenaussagen weiter keinen Angriff auf das Auto C.s bestätigt. Vielmehr betont er, dass es eine Strategie der AfD sei, sich als Opfer zu inszenieren und dass die Inszenierung wenig glaubhaft sei. Laut ihm habe die AfD allgemein wissen müssen, dass die Platzierung der Veranstaltung in Köln Kalk zu massivem Gegenprotest führen würde. Auch sei C.s Beschreibung der Bedrohungslage vor Veranstaltungsbeginn wenig glaubhaft, da er versuchte die Gegendemonstrant*innen mit einem Mikrofon zu interviewen und dabei zu provozieren. Er könne nicht glaubhaft überrascht darüber sein, dass von linker Seite etwas zurückkämme. Hiermit wurde sich auf Rufe wie beispielsweise „Nazis raus!“ bezogen. Insgesamt sah Willuhn die Anklage wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und wegen gefährlicher Körperverletzung mittels gefährlichen Werkzeugs gerechtfertigt. Er forderte eine siebenmonatige Bewährungsstrafe und 6 Monate Führerscheinentzug.
Der Anwalt der Nebenklage schloss sich den meisten Ausführungen der Staatsanwaltschaft an. Allerdings betonte er, dass C. nicht wissen konnte, dass der Nebenkläger in der Lage war, auf die Motorhaube auf- und wieder abzuspringen, ohne sich ernsthaft nachhaltig zu verletzen. C. habe dies nicht kalkulieren können und somit ernsthafte Verletzungen billigend in Kauf genommen.
Plädoyer Verteidiger
Der Verteidiger Balder eröffnete sein Plädoyer damit, dass er im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft keine politische Debattenrede halten wolle. Balder betonte mehrmals, C. habe nur nach Hause fahren wollen. Er wurde beleidigt und provoziert, obwohl er nichts getan habe. C. habe Angst vor den aggressiv auftretenden Menschen gehabt, sei in einer fremden Stadt gewesen und hätte sich der Situation nicht anders entziehen können. Weiter stellte Balder die Frage in den Raum, warum man überhaupt jemanden blockiere (gemeint war hier das langsame über die Straße gehen vonseiten der Menschengruppe um den Nebenkläger) und man müsse doch damit rechnen, dass sich der Blockierte zur Wehr setze. Auch hier fand der Versuch einer Täter*innen-Opfer-Umkehr statt. C. habe Furcht um Leib und Leben, zumindest aber um sein Eigentum gehabt. Aus dieser Furcht heraus habe es sich um Notwehr gehandelt. Hätte C. ernsthaft jemanden verletzen wollen, wäre er geradeaus in die Menschenmenge gefahren. Balder forderte für seinen Mandanten einen Freispruch.
C. blieben als Angeklagtem die Abschlussworte vorbehalten. Er schloss sich den Ausführungen seines Anwalts an. Er bezog sich in seiner Rede erneut auf die Veranstaltung vor dem Unfall und führt aus, dass durch die Störung der Veranstaltung durch Gegendemonstrant*innen der Wahlkampf und somit ein zentraler demokratischer Grundsatz verhindert beziehungsweise verletzt worden wäre. Auch dies hatte nur entfernt mit der Anklageschrift zu tun.
Das Urteil
Das Amtsgericht Köln verkündete folgendes Urteil: Felix Alexander C. wurde wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährliche Körperverletzung und Unfallflucht zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt. Weiter muss C. dem Nebenkläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 250 Euro auszahlen. Die Kosten des Verfahrens muss C. ebenfalls tragen. Außerdem muss er seinen Führerschein für drei Monate abgeben.
Die Vorsitzende Richterin Dr. Gabriele Schotten erläuterte, dass nicht bestätigt sei, dass der Angeklagte mit Absicht gehandelt habe. Aus diesem Grund sei die Verbrechensform nicht bestätigt. Bei der gefährlichen Körperverletzung handle es sich um einen minder schweren Fall, da die Gruppe den Angeklagten zuvor provoziert habe. C.s Ausführung der Notwehr folgte das Gericht nicht, sondern hielt wie die Staatsanwaltschaft fest, dass es keine Bedrohung gegeben habe, welche eine Notwehr rechtfertigten würde. Auch der Tatbestand der Unfallflucht sei erfüllt, da C. nach dem Unfall weitergefahren sei.
Strafmildernd wirkte in das Urteil ein, dass C. nicht vorbestraft ist und das erste Mal vor Gericht stand. Sowie die Tatsache, dass der Nebenkläger keinen körperlich schwerwiegenden Schaden erlitt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und Felix Alexander C. kann noch in Berufung gehen.
(rh)