Geplatzter Prozess zum „Aktionsbüro Mittelrhein“ wird neu aufgerollt
Starke Belastung für Geschädigte, Nazikader sind weiter aktiv
Am 13. März 2012 wurden in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Thüringen 18 Hausdurchsuchungen durchgeführt und 24 Haftbefehle vollstreckt. Damit ging die Polizei gegen im Kern seit 2004 aktive Neonazikader des „Aktionsbüro Mittelrhein“ vor, der die Staatsanwaltschaft die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorwarf.
Im nördlichen Rheinland-Pfalz und südlichen NRW entstand in den Jahren zuvor ein Aktivposten der bundesweiten Neonaziszene, der zuletzt mit dem „Braunen Haus“ im zwischen Bonn und Koblenz liegenden, rheinland-pfälzischen Ahrweiler einen eigenen Anlauf- und Organisationsort hatte. Die Mitglieder machten v.a. mit dem jährlichen Aufmarsch in Remagen, mit dem alliierte Kriegsgefangenenlager geschichtsrevisionistisch instrumentalisiert wurden, bundesweit auf sich aufmerksam, griffen engagierte Menschen in der Region gewalttätig an, zerstachen Reifen und schmierten Hakenkreuze. Zudem sollen Aktivisten an gewalttätigen Übergriffen im Jahr 2011 auf ein Wohnprojekt in Dresden beteiligt gewesen sein.
Der im August 2012 begonnene Prozess wurde, nachdem auch der zweite eingesetzte Richter in Pension ging, am 29. Mai 2017 mit Verweis auf die „überlange Verfahrensdauer“ eingestellt. Für die Zeug_innen, vor allem aber die Geschädigten hieß das zunächst: wir müssen damit zurechtkommen – ohne Urteil, ohne Sicherheit darüber ob die Angeklagten die ihnen zur Last gelegten Straftaten nachweisbar begangen haben und falls ja, wie sie dafür bestraft werden.
Die Aussicht auf ein neu aufgerolltes Verfahren sorgt nun für Befürchtungen und Ängste, denn die Situation bei Aussagen während des Prozesses beschrieben Beteiligte und Betroffene als stark belastend. Die Neonazis agierten selbstbewusst und wurden von teils selbst der Szene nahestehenden Rechtsanwält_innen verteidigt – die Geschädigten hatten das Gefühl, auch im Gerichtssaal nicht vor Anfeindungen und Beschuldigungen der Angeklagten geschützt zu sein. Ein Zeuge beschrieb die Atmosphäre gar mit „Das ist hier das Wohnzimmer der Nazis!“
Für die Täter_innen, ihre Sympathisant_innen und die rechte Szene hat die zwischenzeitliche Einstellung – auch wenn der Prozess zu einer deutlichen Schwächung der Szene in der Region geführt hat – zum wiederholten Mal den Anschein erweckt, dass neonazistische Straftaten juristisch folgenlos bleiben. Führende Aktivisten des AB Mittelrheins konnten sich als Märtyrer inszenieren und betätigen sich weiterhin in zentraler Funktion, wie etwa Sven Skoda (Düsseldorf) als Redner beim Rechtsrock-Event im Juli 2017 in Themar (Thüringen) vor 6.000 Neonazis oder wie Christian Häger als Anmelder des „Rudolf-Hess-Gedenkmarsches“ von über 1.000 Neonazis im August 2017 in Berlin.
Zu den Hintergründen der vorläufigen Prozesseinstellung, der Bedeutung für die Neonazisszene (nicht nur) in der Region sowie den Auswirkungen auf die Betroffenen und Zeug_innen finden Sie hier einen längeren Beitrag von Rolf Knieper, Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz / Beratungsknoten Koblenz-Mittelrhein: