„Und wieder einmal zweigt (sic!) PEGIDA NRW wie es geht“, so kommentierte die Gruppierung auf Facebook die aus dem Ruder gelaufene Demonstration am 9. Januar 2016 in Köln. Etwa 1.500 Personen waren dem Aufruf zum Breslauer Platz gefolgt – die Organisator_innen sprechen von 3.000; als der Demonstrationszug sich in Bewegung setzte, flogen die ersten Böller, kurze Zeit später auch Flaschen. Die Polizei stoppte den Aufzug und drängte ihn unter Einsatz von Pfefferspray und eines Wasserwerfers zurück zum Kundgebungsplatz. Am Folgetag fand rund um Hauptbahnhof und Innenstadt eine regelrechte Menschenjagd auf Männer, die von selbsternannten Bürgerwehrlern als „nicht-deutsch“ eingeordnet wurden statt. Der Polizei sind bislang fünf Angriffe mit teils mehreren Verletzten bekannt.
Nachdem die große Anzahl sexualisierter Übergriffe auf Frauen – neben zahlreichen Diebstählen – in der Silvesternacht am Kölner Dom bekannt geworden waren, dauerte es nicht lange, bis sich die Diskussion verschob von den eigentlichen Übergriffen hin zur (mutmaßlichen) Herkunft der Täter. So deutlich die Geschehnisse der Silvesternacht zu verurteilen sind, so unangemessen und gefährlich bleibt doch der weitere Diskussionsverlauf. In Teilen von Öffentlichkeit, Politik und Medien wurde sexualisierte Gewalt ethnisiert und zum alleinigen Problem nicht-deutscher Männer gemacht, rassistische Bilder und Darstellungen gingen und gehen damit einher.
In den sozialen Netzwerken tobt seither eine rassistische Hetze, neben der die analytischen, feministischen und faktenorientierten Perspektiven nahezu untergehen. Auch die Reaktionen der extremen Rechten ließen nicht lange auf sich warten. Am 6. Januar führte pro NRW eine kleine Kundgebung am Hauptbahnhof durch, ab dem Vortag bewarb PEGIDA NRW eine Veranstaltung für den 9. Januar. Gleichzeitig formierten sich bei Facebook Gruppen, die sich verabredeten, um die Stadt „zu säubern“.
Spektrenübergreifende Mobilisierung
Die Zusagen für die PEGIDA-Veranstaltung bei Facebook zählten schnell mehrere hundert. Es wurde weit über das PEGIDA NRW-Spektrum hinaus mobilisiert, beispielsweise warben Gliederungen der Partei „Die Rechte“ für die Teilnahme, die NPD NRW sagte gar ihren Neujahrsempfang ab. Auch in Kreisen rechter Hooligans wurde zur Veranstaltung aufgerufen. Dass die Demonstrationsroute die „HoGeSa-Route“ von 2014 sein sollte, dürfte einen zusätzlichen Mobilisierungseffekt erzielt haben.
Schon deutlich vor Beginn der Kundgebung um 14 Uhr sammelten sich am 9. Januar Gruppen aus dem Neonazi- und Hooligan-Spektrum in der Kölner Altstadt sowie im und um den Hauptbahnhof. Die Lage gestaltete sich schnell unübersichtlich, nicht alle Grüppchen schienen überhaupt zu beabsichtigen, sich an der Demonstration zu beteiligen.
Wie schon bei HoGeSa im Oktober 2015 kostete es die Veranstalter_innen von PEGIDA einige Mühe, die geforderten 60 nicht-alkoholisierten und nicht vorbestraften Ordner_innen zu finden. Währenddessen versammelten sich etwa 1.500 Teilnehmer_innen zur Kundgebung. Darunter befanden sich organisierte Neonazis, rechte Hooligans, NPD-Funktionär_innen, pro NRW- und pro Deutschland-/ pro Köln-Anhänger_innen, von PEGIDA NRW aus Duisburg und DÜGIDA bekannte Gesichter sowie dem HoGeSa-Spektrum zuzuordnende Personen.
„Wiederholung der Reichskristallnacht von 1936 (sic!)“
Als Kundgebungsredner_innen traten Michael Diendorf, Mitglied des „Orga-Teams“ von PEGIDA NRW und regelmäßiger Redner in Duisburg, Christiane Hoefkes, vorgestellt als „Bürgerin und vierfache Mutter“ und ebenso bereits Rednerin in Duisburg, „Tommy Robinson“ alias Stephen Yaxley-Lennon, PEGIDA UK und ehemalige Führungsfigur der „English Defense League“ und „Michael Mannheimer“, mit bürgerlichem Namen Karl-Michael Merkle, auf. Merkle steigerte die Polemik der vorangegangenen Reden um einiges. Die Ereignisse der Silvesternacht bezeichnete er als „das erste Pogrom nach 1945 auf deutschem Boden“ und „Wiederholung der Reichskristallnacht von 1936 (sic!)“. Das „politische Establishment“ habe „sich ohne Frage die Aufgabe gemacht, Deutschland abzuschaffen“ und sich damit „des Völkermords an uns Deutschen, nach Artikel 6 Völkerstrafgesetzbuch“ schuldig gemacht. Als Konsequenz verlangte er „die Ausweisung des Islam aus Deutschland“ und „die Vernichtung der Antifa als Organisation“.
Doch die Reden interessierten nur den kleineren Teil der Kundgebung. Einige Teilnehmer_innen tummelten sich lieber am Kiosk neben dem Kundgebungsort, wo sie auch alkoholische Getränke in – auf der Kundgebung verbotenen – Glasflaschen konsumierten. Gegen Ende der Kundgebung wurden sie von der Polizei aufgefordert, ihr Leergut zu entsorgen und sich zur Versammlung zu begeben, falls sie vorhätten, sich dem Demonstrationszug anzuschließen.
Nach wenigen Metern vorbei
Der Demonstrationszug hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als die ersten Böller aus der Kundgebung in Richtung Polizei flogen. Die Demo-Spitze mit dem HoGeSa-Banner trat von Anfang an äußerst aggressiv auf, es kam zu mehreren Rangeleien mit der Polizei. Da weitere Böller flogen und mehrere Aufzugsteilnehmende sich vermummt hatten, stoppte die Polizei den Demonstrationszug bereits auf Höhe der Querstraße Unter Krahnenbäumen. Während zum Unterlassen der Würfe und zum Ablegen der Vermummung aufgerufen wurde, flogen erneut Böller und Glasflaschen. In der Folge löste die Polizei die Versammlung auf und trieb die Teilnehmer_innen mittels Pfefferspray und Wasserwerfer zurück zum Breslauer Platz.
Trotz der vorangegangenen Auflösung wurde dort die Kundgebung fortgesetzt. Der Anmelder und pro NRWler Dominik Roeseler hielt noch einen Redebeitrag, dann reiste ein Teil der Teilnehmer_innen mit Zügen ab, der Rest zerstreute sich in den Hauptbahnhof und die Altstadt.
Kleinstkundgebung von pro NRW
Bereits am Mittwoch, den 6. Januar führte pro NRW eine Kundgebung am Hauptbahnhof durch. Das Motto: „Zuwanderergewalt lässt uns nicht kalt!“. Dem Aufruf folgten nur etwa 10 Aktivist_innen, unter ihnen Ariane Meise, stellvertretende Landesvorsitzende der NPD NRW. Pro NRW-Generalsekretär Christopher von Mengersen unterhielt seine Anhänger_innen etwa eine Stunde, während etwa 150 Gegendemonstrant_innen drumherum lautstark gegen Sexismus und Rassismus protestierten.
Rassistische Gewalt am Sonntag
In verschiedenen Facebook-Gruppen wurde sich bereits wenige Tage nach Silvester verabredet, um durch die Stadt zu „spazieren“. In einer Gruppe sammelten sich innerhalb weniger Tage 2.000 Personen aus dem Türsteher-Hooligan-Kampfsport-Milieu, wenig später formierten sich digital verschiedene „Bürgerwehren“, die sich teils deutlich, teils alibimäßig von Rassismus distanzieren.
Nach Polizeiangaben waren am Sonntag Nachmittag mehrere Gruppen in der Stadt unterwegs, die teilweise Menschen angriffen, die sie für „Ausländer“ hielten oder die einfach Präsenz zeigen wollten. Gegen 19 Uhr sammelten sich mehrere Gruppen am Hauptbahnhof, um sich dann wieder Richtung Rhein und Altstadt zu zerstreuen. Der Polizei sind aus dieser Zeit fünf Angriffe bekannt geworden.
In der Trankgasse flüchtete gegen 18.40 eine schwarze Person vor einer 25-köpfigen Gruppe zu einer Gruppe von sechs pakistanischen Staatsbürgern. Der ursprünglich Verfolgte konnte scheinbar entkommen, die sechs anderen wurden vonn der Verfolgergruppe geschlagen und getreten. Acht Personen griffen dann gegen 19.00 Uhr am Hauptbahnhof einen Syrer an. Wenig später attackierte eine Gruppe am Kardinal-Hoffmann-Platz drei Personen aus Guinea. Ein 19-jähriger wurde mit einer Glasflasche angegriffen. Gegen 19.30 Uhr wurde dann am Andreas-Kloster ein 19-jähriger Syrer geschlagen. Am Dienstag wurde bekannt, dass eine weitere Person am Sonntag verletzt wurde. Der Inder wurde von einer Gruppe von sieben Personen angegriffen und trug Gesichtsverletzungen davon.
Insgesamt hat die Kölner Polizei am Sonntag 199 Platzverweise ausgesprochen, darunter befanden sich mehrere Personen aus dem Rocker-/Türsteher-Milieu und bereits durch rechtsmotivierte Straftaten in Erscheinung Getretene. Zwei Personen wurden in Gewahrsam genommen, weil sie die Platzverweise nicht befolgten.