Innenminister Jäger hat die drei Neonazi-Gruppen „Kameradschaft Aachener Land“, „Kameradschaft Hamm“ und „Nationaler Widerstand Dortmund“ verboten. Seit 6 Uhr durchsuchen über 900 PolizeibeamtInnen zahlreiche Wohnungen, Haftzellen und Gruppenräume in NRW.
Im Großraum Dortmund und Hamm werden laut Polizei 93 Objekte, in Aachen sowie den Kreisen Heinsberg und Düren weitere 48 Objekte durchsucht. Die Polizei beschlagnahmt dabei Vereinsvermögen und Vereinsbesitz, außerdem werden Waffen und Propagandamaterial sichergestellt. Umfangreiches Material wird vor allem in den beiden von Kameradschaftsaktivisten angemieteten Versammlungsstätten der Neonazis in Hamm („Villa Kunterbraun“, Werler Straße) und Dortmund („Nationales Zentrum“, Rheinische Straße) beschlagnahmt. Verhaftungen sind noch nicht bekannt geworden.
Die drei aktivsten Neonazi-Gruppen verboten
Innenminister Jäger sagte, die Polizeiaktionen rissen „große Löcher in das Netzwerk der Neonazis“. Die drei verbotenen Kameradschaften gehören zu den aktivsten Neonazi-Gruppen im Land. Die Aktivitäten des „Nationalen Widerstands Dortmund“ haben Ausstrahlungskraft auf Neonazis im gesamten Bundesgebiet. Von Bedeutung sind vor allem die jährlichen Aufmärsche Anfang September in Dortmund. Der selbsternannte „Nationale Antikriegstag“ soll in diesem Jahr am 1. September stattfinden. Es wird zu klären sein, ob der Aufmarsch, der maßgeblich von der nun verbotenen Gruppe organisiert wird, nun ebenfalls verboten werden muss. Seit einigen Wochen finden vermehrt Propagandaaktionen und Kundgebungen mit Bezug auf den ersten September statt. Erst gestern wurde bekannt, dass Neonazis eine „Mobilisierungstour“ per Bus durch das Rheinland planen, um für den Aufmarsch zu werben. Zwei Kundgebungen am 25. August in Gummersbach und Wuppertal sind bereits bekannt.
Die seit 2003 bestehende „Kameradschaft Hamm“ war eine wichtige Konstante im Netzwerk der Neonazis im östlichen Ruhrgebiet und im Münsterland. Erst vor wenigen Wochen hatten Antifa-Recherchen ergeben, dass sich die Szene in Hamm einen Treffpunkt in einer ehemaligen Gaststätte geschaffen hat. Dort fanden auch Schulungsveranstaltungen der NPD statt. Ebenso wie der „Nationale Widerstand Dortmund“ griffen die Hammer Neonazis in den letzten Jahren immer wieder politische GegnerInnen und MigrantInnen an. Kulturzentren, Cafès, Vereins- und Parteiräume wurden mit Steinen eingeworfen, einzelne (vermeintliche) Nazi-GegnerInnen wurden regelrecht terrorisiert. Landesweit bekannt wurde der Fall einer Familie, die vor einigen Jahren aus dem Dortmunder Stadtteil Dorstfeld wegen der Neonazis wegziehen musste.
Auch die ungefähr 40 bis 50 Mitglieder umfassende „Kameradschaft Aachener Land“ war wegen ihrer zahlreichen brutalen Gewalttaten berüchtigt. Von überregionaler Bedeutung war der von der „Kameradschaft Aachener Land“ zusammen mit der NPD organisierten „Gedenkmärsche“ in Stolberg. Mehr Informationen zum Neonazis im Raum Aachen finden sich in unserer Rubrik „vor Ort“: Städteregion Aachen | Stadt Aachen
Auswirkungen der Verbote
Welche Auswirkungen die Verbote haben werden, ist noch nicht absehbar. Kurzfristig dürften die Neonazi-Strukturen im Land geschwächt sein, vor allem da ihr Vermögen und ihre Infrastruktur beschlagnahmt sind. Außerdem dürfen sie nicht mehr länger unter ihrem Namen agieren. Langfristig ist damit zu rechnen, dass sich die Neonazi-Szene re-organisieren und sich neue Arbeitsstrukturen schaffen wird. Möglich ist, dass die Neonazis, wie bereits im Münsterland und dem Kreis Recklinghausen geschehen, nicht mehr als lokale „Kameradschaften“ auftreten, sondern sich als schwerer zu lokalisierendes „Netzwerk“ inszenieren werden. Ebenso kann weiterhin auf die gewachsenen persönlichen Kontakte der Kameradschaftsmitglieder zurückgegriffen werden. Auch die NPD könnte als Auffangbecken und Betätigungsfeld wieder attraktiver werden, zumal es besonders im Raum Hamm eine enge Zusammenarbeit zwischen NPD und Kameradschaftsszene gibt.