Statement der Mobilen Beratungen NRW zum Projekt „Dortmund den Dortmundern“

Mit 300.000 Euro fördert das Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ ein Modellprojekt in Dortmund. Das Projekt mit dem Titel „Dortmund den Dortmundern“ ist nun Gegenstand der öffentlichen Diskussion, da die Einbeziehung von organisierten Neonazis (Aktivisten und Kadern) aus Dortmund sowie mangelnde pädagogische Standards kritisiert werden. Die das Projekt verantwortende „Multilateral Academy gGmbh“ hat in Ihrem Antragstext verschiedene Kooperationspartner genannt, von denen einige nun auf Distanz gehen.

Nach einem Artikel in der Zeitschrift Lotta und einem Offenen Brief des Dortmunder Antifa-Bündnis gab die Stadt Dortmund bekannt, nicht länger als Kooperationspartner zur Verfügung zu stehen. (Hintergründe zum Vorgang und weitere Informationen in verschiedenen Presse-Artikeln: Süddeutsche Zeitung, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Welt am Sonntag, Mut gegen Rechte Gewalt, Blog der ZEIT). Auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW wurde in der Projektbeschreibung genannt, war als solche aber zu keinem Zeitpunkt in die Konzeptentwicklung involviert. Deswegen haben sich die fünf Träger der Mobilen Beratung schon vor einigen Monaten an die Projektverantwortlichen gewandt und ihre großen fachlichen Bedenken formuliert. Die Stellungnahme haben wir im Folgenden dokumentiert:

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW hat große fachliche Bedenken, was die Durchführbarkeit und die Erreichbarkeit der formulierten Ziele des Projekts wie auch bezüglich der politischen Außenwirkung betrifft. Dabei können wir die sonstigen Qualitäten und Kompetenzen des Trägers nicht einschätzen, die MLA ist uns allerdings in dem Themenfeld bisher nicht begegnet, scheint also nur bedingt über die notwendige Erfahrungen zu verfügen.

Das Projekt zielt darauf ab, mit einer ganzen Gruppe aus dem harten Kern der Dortmunder Neonazi-Szene (erst einmal) voraussetzungslos zu arbeiten. Das widerspricht der gängigen Praxis von Sozialarbeit mit extrem rechten Jugendlichen. Dort wird mit Aktivisten und Kadern unter der Voraussetzung gearbeitet, dass es von diesen aus eine gewisse Bringschuld (z.B. Distanzierungstendenzen etc.) gibt. Offenbar wird von den Projektverantwortlichen der Unterschied zwischen rechtsaffinen, vorurteilsbehafteten Jugendlichen am Rande der Szenen (mit denen das Vorhaben vielleicht Sinn machen würde) und Jugendlichen/jungen Erwachsenen mit einem geschlossen rechtsextremem und ideologisch gefestigtem Weltbild verkannt. Letztere sind auch in strategisch-taktisch politischem Agieren erfahren und nur bedingt mit pädagogischen oder sozialarbeiterischen Mitteln erreichbar. In Dortmund haben wir es mit Vollzeitaktivisten zu tun, die in einer nazistischen „Parallelwelt“ leben.

Wenn Aktivisten und Kader sich auf ein solches Projekt überhaupt einlassen, dann nur um dieses propagandistisch zu instrumentalisieren (bestenfalls noch um einen persönlichen Vorteil daraus zu ziehen). Die Neonazis werden den Rahmen bestimmen. Gerade aus Dortmund gibt es viele Beispiele von durchaus erfolgreichen „Wortergreifungen“ von Neonazi-Aktivisten und gelungenen Instrumentalisierungen. Aktivisten des NW DO sind in entsprechenden Situationen geübt.

Wenn man mit ideologisch gefestigt rechten Jugendlichen arbeitet, muss in sehr langwierigen und intensiven Prozessen geklärt werden, welche Maßnahmen die jeweils richtigen sind um Fortschritte (d.h. Distanzierung) zu erzielen. Dazu können auch konfrontative Gespräche (zur Anregung von Reflektion) zählen, diese wären aber bei jedem Jugendlichen individuell anders gelagert. Akzeptierende Jugendarbeit, ein etwas anderer Ansatz, der sich aber im Projekt teilweise ebenso findet, verfolgt bedeutet, erst einmal auf das (oftmals sozial marginalisierte) Individuum zu schauen, Lebensumstände zu ändern (Job, Umfeld, Familie etc.) und einen Rahmen zu schaffen, in dem andere Erfahrungen ermöglicht werden (um so auch Distanzierung zu ermöglichen). All das aber scheint uns bei diesem Projekt nicht gegeben.

Wir halten es für verfehlt von Anfang an eine konfrontative Gruppensituation aufzubauen (Nazis vs. „gefestigte demokratische Jugendliche“). In Gruppenkonstellationen fühlen sich extrem rechte Jugendliche bestärkt, Distanzierungsbestrebungen sind dann schwierig. Gruppenzwang und Gruppendruck verhindern individuelle Reflektionsprozesse. Diese im Projekt angedachte Konfrontation mit den „gefestigt demokratischen Jugendlichen“ (wer auch immer das sein soll und wer auch immer deren Demokratiegrad bestimmt) zuzumuten ist u.E. unverantwortlich. Diese Jugendlichen wissen vielleicht gar nicht, auf was sie sich einlassen. Entsprechende Kompetenzen für diese Situation lassen sich auch durch Schulungen und Workshops nicht kurzfristig vermitteln. Es braucht hierbei langjährige Erfahrungen professioneller Kräfte. Schlimmstenfalls bringt man die nicht-rechten Jugendliche erst in Gefahrensituationen, in dem man sie den Neonazi-Aktivisten aussetzt bzw. bekannt macht. Die Neonazi-Szene in Dortmund schöpft ihr Selbstbewusstsein aus Gewalttaten gegen politisch Andersdenkende, die bis hin zu systematischem Terror reichen. Für systematische und geplante rechte Gewalt gibt es leider viel zu viele Beispiele in Dortmund. Es sind aber genau die Akteure dieser Gewalt, die die Zielgruppe des Projektes sind.

In der Vorhabensbeschreibung spiegelt sich u.E. vielfach nicht nur eine Unkenntnis der Dortmunder, sondern extrem rechter Szenen allgemein wider. So heißt es im Antragstext: „Statt einer ritualisierten Auseinandersetzung, die teilweise zu Reproduktion sowie Verfestigung rechtsextremer Einstellungen führt, soll eine diskursorientierte Intervention mit dem Ziel erfolgen, Widersprüchlichkeit in der Verknüpfung von ju-gendkulturellen Mitteln und rechtsextremer Ideologie bei den Autonomen Nationalisten aufzudecken.“ Das ist erstens eine ärgerliche Abwertung anderer Ansätze („ritualisierte Auseinandersetzung“), und zweitens ein typisches Denken vom aufgeklärten Individuum aus, das sich nicht mit Selbstzuschreibungen, Sinnsetzung und Lebenswelten von Neonazis selbst beschäftigt. Das „Konzept“ Autonome Nationalisten ist eben gerade ein Modell, um diese Widersprüche innerhalb der Neonazi-Szene leben zu können.

Weiterhin heißt es: „…statt sich auf Prävention im Umfeld rechtsextremer Aktivitäten und Zielgruppen zu beschränken, die eine erforderliche direkte Konfrontation meidet, ermöglicht die Projektteilnahme der Autonomen Sozialisten (es handelt sich um „Autonome NATIONALISTEN“ – d.A.) eine direkte Auseinandersetzung mit handelnden Personen.“ Mit Verlaub, aber dass es in Dortmund lange Zeit nicht gelang, der Neonazi-Szene etwas entgegenzusetzen lag wahrlich nicht an „nicht wirksamer Prävention“, sondern an mangelndem Problembewusstsein. Da hat sich jedoch einiges in eine positive Richtung entwickelt. Die präventive Arbeit ist dabei ausdrücklich zu begrüßen. Stattdessen wird aber nun im Projekt „Dortmund den Dortmundern“ ein angeblich innovativer Ansatz präsentiert, der aber nicht innovativ ist: „künstlerische Zugang, Zukunftswerkstatt, Konfrontation etc.“ das ist alles nichts Neues.

Die Begrifflichkeit mag den Erfordernissen des Bundesprogramms geschuldet sein, wir aber halten ein anderes Problem für gravierender. Wenn in der Vorhabensbeschreibung von einer konfrontativen Pädagogik die Rede ist, so scheint dies zu bedeuten, dass Neonazis faktisch zu gleichberechtigten Diskussionspartnern erhoben werden, die auf Augenhöhe mit den „Demokraten“ über die Gestaltung ihres Stadtteils diskutieren und in diesem Kontext ihre Ideen einbringen können (siehe Zukunftswerkstatt). Es ist in der Arbeit gegen Rechtsextremismus allgemein anerkannt, dass es mit Personen, die die Menschenrechte mit Füßen treten und ihr Gegenüber fundamentale Rechte (aufgrund von Herkunft etc.) verweigern wollen (bis hin zur Vernichtung) keinen gleichberechtigten, demokratischen Diskurs geben kann.

In der Praxis könnte sich am Bsp. „Antikriegstag“ in der Konsequenz (Jugendkulturelle Umsetzung S. 5) herausstellen, dass beide Gruppen („Demokraten“ wie „Rechte“) irgendwie „gegen Krieg“ eingestellt sind. Um dabei zu bleiben. Im Vorhaben ist zu lesen: „Jugendliche beider Gruppen haben eine Affinität zu künstlerisch-kreativer Arbeit, die hier genutzt wird. Diese soll auch eine Brücke bauen zur Gegenüberstellung der Meinungen und zur Offenlegung der unter 4.1 beschriebenen Widersprüchlichkeit.“ Diese Ausführungen halten wir für naiv. Wenn ich nazistische Propaganda (Hakenkreuze, Graffitis mit NS-Parolen) der AN als kreativ-künstlerisch werte, dann kann ich jegliche Versuche Jugendlicher, sich in den öffentlichen Raum einzuschreiben als „Affinität zu künstlerisch-kreativer Arbeit“ deklarieren und Gemeinsamkeiten zwischen Nazis und nicht-rechten Jugendlichen herstellen. Dieser Ansatz erschließt sich uns nicht.

Im Vorhaben wird auch gesagt, dass „über die fünf Beratungsnetzwerke Rechtsextremismus in NRW (fachlich) […] eine Multiplizierung der Ergebnisse in die Praxis erfolgen“ wird. In dieser Beziehung gab es keine Absprache mit uns. Wir haben große Bedenken hinsichtlich des Projektes und können uns eine Kooperation bei dieser Konzeption derzeit nicht vorstellen.

Köln, den 30.09.2011

Die Träger Mobiler Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW

ibs/NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
mobim/Geschichtsort Villa ten Hompel, Münster
AKE-Bildungswerk e.V.
Wupppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz
Amt für Jugendarbeit der EKvW – Gewalt Akademie Villigst

Dieser Beitrag wurde unter Aktuelles veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.