Jahrestag der Selbstenttarnung einer extrem rechten Terrorgruppe

Der Artikel wurde erstmals am 04.11.2022 auf der neuen Seite der mbr Köln veröffentlicht.

Am 4. November 2011 enttarnte sich eine extrem rechte Terrorgruppe, die unter dem Namen „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) bekannt wurde. Die Täter*innen des NSU verübten im Zeitraum von 2000 bis 2007 mindestens zehn Morde, neun davon waren rassistisch motiviert. Wir gedenken den Opfern und den Betroffenen der rassistischen Mordserie und der Anschläge des NSU:

Enver Şimşek

Abdurrahim Özüdoğru

Süleyman Taşköprü

Habil Kılıç

Mehmet Turgut

İsmail Yaşar

Theodoros Boulgarides

Mehmet Kubaşık

Halit Yozgat.

Michèle Kiesewetter

Viele weitere Menschen wurden durch die Taten des NSU verletzt und traumatisiert.

Die drei Täter*innen, welche als „Kerntrio“ des NSU bekannt geworden sind, lebten seit 1998 für vierzehn Jahre im „Untergrund“. Sie wohnten zunächst in Chemnitz und zogen dann nach Zwickau. Von hier aus begingen sie neben der rassistischen Mordserie bis zu fünfzehn Raubüberfälle. Weiter waren sie für ein Rohrbombenattentat auf die Gaststätte Sonnenschein in Nürnberg am 23. Juni 1999 verantwortlich. Dieses Attentat stand bis Juni 2013 nicht im Zusammenhang mit dem NSU. Der Betroffene Mehmet O. überlebte nur durch Glück, die Rohrbombe hatte einen technischen Fehler, sie explodierte nicht richtig. Darüber hinaus ist der NSU für das Sprengstoffattentat am 19. Januar 2001 in der Kölner Probsteigasse verantwortlich, bei dem das Opfer ebenfalls nur mit viel Glück überlebte. Beim Nagelbombenanschlag am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße wurden mehr als 20 Menschen schwer verletzt.

Der NSU setzte sich nicht nur aus einem „Kerntrio“ zusammen, sondern griff auf ein breites Unterstützungsnetzwerk von Dutzenden handelnden Personen zurück. Auch entstanden die Morde des NSU nicht in einem „luftleeren Raum“. Vielmehr wurden die Täter*innen im Klima der rassistisch motivierten Pogrome der 1990er Jahre sozialisiert. Hier fanden rassistisch motivierte Über- und Angriffe auf Wohnungen von geflüchteten und fliehenden Menschen sowie von Vertragsarbeiter*innen statt (beispielsweise Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda). In dieser Zeit wurden ebenso tödliche Brandanschläge auf Wohnhäuser von migrantisierten Menschen verübt (beispielsweise in Solingen). Es kam damals nicht zu einer gesellschaftlichen Positionierung gegen Rassismus, vielmehr wurden den rassistischen Täter*innen Zugeständnisse gemacht und das Recht auf Asyl verschärft. Hierdurch konnten sich die Täter*innen und ihre Sympathisant*innen bestätigt fühlen und gewannen neues Selbstbewusstsein.

Knapp ein Jahr vor der Enttarnung des NSU hatte Thilo Sarrazin rassistisch-eugenische Thesen veröffentlicht und in die gesellschaftliche Debatte eingebunden. Hierfür bekam er von verschiedenen Seiten Beifall.

Auch unabhängig vom NSU finden weiterhin rassistisch motivierte Morde statt, wie die Anschläge in Halle und Hanau zeigen. Diese Anschläge stellen die Spitze des Eisbergs von rechter Gewalt und rechtem Terror dar. Doch darunter wird eine Schicht aus institutionellem, gesellschaftlichem und diskursivem Rassismus sichtbar. So wurden etliche der Opfer und ihre Angehörigen in kürzester Zeit von den Ermittlungsbehörden als Täter*innen ausgemacht. Hinweise auf die rechte Szene hingegen wurden nicht erst genommen. Ähnliches gilt für die mediale Berichterstattung, in der gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen griffen. Durch den von den Medien im Zusammenhang mit der rassistischen Mordserie geprägten Begriff „Döner-Morde“ fand eine Entmenschlichung der Opfer statt. Die Ofer wurden aufgrund ihrer zugeschriebenen Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert.

Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen kam es zu zahlreichen Fehlern. So wurden Akten vernichtet, Zeug*innenaussagen falsch protokolliert, Tatorte von Polizist*innen verändert bevor die Spurensicherung zugegen war. Nicht nur in den Untersuchungsausschüssen des Bundes und des Landes wurde das V-Leute-System hinterfragt und der Umgang des Verfassungsschutzes mit Informationen zum NSU-Komplex kritisiert. Auch heute sind noch viele Fragen im Zusammenhang mit der rassistischen Mordserie des NSU offen.

Diese Ermittlungen können zu der Frage führen, wie der NSU schlussendlich enttarnt wurde. Am 4. November 2011 wurde eine Bank in Eisenach überfallen. Die beiden flüchtigen Täter wurden von der Polizei in einem Wohnwagen gesichtet. Daraufhin sprengten sich die Täter mit dem Wohnwagen in die Luft. In den Trümmern wurde die Tatwaffe gefunden, welche im Zeitraum von 2000-2007 bei dem Mord an zehn Menschen verwendet wurde. Eine weitere Täterin des NSU stellte sich einige Tage später der Polizei. Vorher versandte sie mehrere DVDs, in denen sich die Täter*innen als NSU vorstellten und sich hämisch über die begangenen rassistisch motivierten Morde lustig machten.

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