Aufschwung und Radikalisierung der Proteste gegen die Corona-Schutzverordnung

Der Artikel wurde erstmals am 07.01.2022 auf der neuen Seite der mbr Köln veröffentlicht.

Die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen konnten ab Ende des Jahres 2021 wieder einen starken Zulauf verzeichnen. Dies ist unter anderem auf die stark steigenden Infektionszahlen durch die neue Omicron-Variante des Corona-Virus und der damit verbundenen Debatten um politische Maßnahmen zurückzuführen. Ob nun gegen 3G oder 2G, gegen die viel beschworene „Spaltung der Gesellschaft“, gegen „die da oben“, eine vermeintliche Diktatur, eine Impfpflicht für Kinder oder für Pflegeberufe oder gegen Impfung und wissenschaftlich-basierte Medizin allgemein – die Themen auf diesen Protesten sind vielfältig. Dennoch haben sie alle etwas gemeinsam.

Ein gemeinsamer Nenner ist, dass es durch den starken Zulauf zu einer merklichen Radikalisierung kommt. Dies stellte auch die Sozialpsychologin Pia Lamberty in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vom 16.12.2021 fest: „Wer mit 1.000 Menschen auf die Straße geht, fühlt sich in der Mehrheit. Wenn es plötzlich der Nachbar ist, mit dem man zusammen demonstriert, fühlt man sich zusätzlich bestärkt.“ In den entsprechenden Telegram-Gruppen wird sich auch um eine Vernetzung abseits der größeren Demonstrationen bemüht. Es entstehen Untergruppen, Regionalgruppen und Stadtteilgruppen. Weiter verabreden sich die Mitglieder auch abseits der Protest-Termine. Ziel ist es, für den Fall vorbereitet und weiterhin vernetzt zu sein, dass Telegram diese Gruppen löschen würden.

Als zweite Gemeinsamkeit der neuen Protestwelle lässt sich ausmachen, dass sie sich vielfach auf extrem rechte Strukturen stützt. Das bedeutet, dass sie von Akteur*innen der extremen Rechten mit organisiert, koordiniert, beworben, besucht, geprägt und radikalisiert werden. Fast alle Aufmärsche werden als „Spaziergänge“ beworben und vielfach nicht angemeldet. Die Nicht-Anmeldung symbolisiert den vermeintlichen Widerstand gegen die imaginierte „Corona-Diktatur“ und verhindert Auflagen wie Maskenpflicht und Abstandsregelung. Dazu kommt das vielfach formulierte Ziel, so Polizeikräfte zu binden. Auch kleinere Montagsproteste könnten demnach dabei helfen, dass weniger Polizei bei den großen Aufmärschen anwesend sei. Auf diesen kommt es immer wieder zu Ausschreitungen und Angriffen auf Polizeibeamt*innen, Journalist*innen und Andersdenkende.

Auch im Regierungsbezirk Köln lassen sich entsprechende Aktivitäten beobachten: In Köln selbst folgten am Samstag, den 11. Dezember 2021, etwa 250 Personen dem Aufruf der verschwörungsideologisch geprägten Daueraktivistin Bianca Paffenholz nach Chorweiler. Neben rechten Hooligans aus dem Umfeld des Begleitschutz Köln und AfD-Funktionär*innen wie Christer Cremer waren auch Schilder der verschwörungsideologischen Partei dieBasis zu beobachten. In Redebeiträgen wurde in eindeutig geschichtsrevisionistischer Manier das Robert Koch Institut mit „IG-Farben“ und dem NS-Arzt Josef Mengele verglichen. Als sich die Kundgebung auflöste, wurden laut Berichten auf Twitter Böller und Pyro gezündet. Die „Montagsdemo“ am 18. Dezember der rechts-esoterischen Verschwörungsideologin Johanne Liesegang in Köln-Nippes zog etwa 200 Personen aus dem Umfeld des so genannten Corona-Ausschusses an. Dieser Ausschuss, eigentlich eine Stiftung, verbundene mit einem Medienformat, stammt aus dem Querdenker*innen-Milieu rund um den Verschwörungsideologen und gescheiterten Kanzlerkandidaten von dieBasis, Reiner Fuellmich. In stundenlangen Videos werden dort abstruse Verschwörungserzählungen verbreitet; immer wieder kommt es zu Holocaust-Relativierungen.

Paffenholz mobilisierte zum 25. Dezember mit Köln ist aktiv etwa 350 Teilnehmer*innen nach Ehrenfeld. Mit darunter war auch der antisemitische und extrem rechte Rapper Sascha Vossen (Master Spitter), welcher hier moderieren und auftreten durfte. Auch die ehemalige Dürener AfD-Ratsfrau Yennyfer Inden, die unter dem Pseudonym PatriotOnTour als Streamerin aktiv ist, war vor Ort. Im Demozug waren darüber hinaus die Corona-Rebellen Düsseldorf präsent, die auch beim versuchten „Sturm“ auf den Bundestag am 27. August 2020 involviert waren, sowie einige Hooligans. Die Teilnehmenden führten ein größeres Banner des Corona-Ausschusses mit.

Zusammenfassend sind die Teilnehmer*innenzahlen in Köln noch übersichtlich. Dies kann ein Grund sein, weswegen sich die rechte Szene vermehrt auf Düsseldorf und Bonn zu konzentrieren scheint. Waren in Bonn am 29. November 2021 noch 60 Menschen auf dem unangemeldeten Protest, waren es am 6. Dezember 150, am 13. Dezember schon 400 und am 20. Dezember zwischen 800 und 1.000 Teilnehmende. Nachdem der eigentliche Startpunkt des unangemeldeten „Spaziergangs“ durch die Kundgebung des Bonner Bündnis gegen Rechts blockiert wurde, starteten die rechten und rechtsoffenen „Spaziergänger*innen“ vom Friedensplatz aus. Dort mussten sie ihre Kundgebung offiziell anmelden. Angeführt wurde der folgende Demozug von einer etwa 30-köpfigen Gruppe junger Rechtsradikaler, unter ihnen auch die völkische und neurechte Aktivistin Reinhild Boßdorf. Die Gruppe gehörte zu der sogenannten Revolte Rheinland, einer Nachfolgeorganisation der sogenannten Identitären Bewegung, und traten mit Banner und Megafon auf. Sie skandierten unter anderem neonazistische Parolen wie „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“.

Unter dem Label der neurechten Frauengruppe Lukreta meldete Boßdorf am 16. Dezember eine Veranstaltung vor dem Landtag in Düsseldorf an, wo sie auch als erste Rednerin auftrat. Neben ihr sprachen die Kölner AfD-Landtagsabgeordnete Iris Dworeck-Danielowski, der rechte Blogger Miró Wolsfeld sowie der extrem rechte Youtuber Feroz Khan aus Dresden. Unter den etwa 80 Teilnehmenden waren auch der JA-Bundesvorsitzende Carlo Clemens, die Vorstandsmitglieder der JA-NRW Patrick Heinz und Zacharias Schalley, die neurechte Influencerin Freya Honold aus Köln, Maximilian Schmitz von der Alten Halleschen Burschenschaft Rhenania-Salingia zu Düsseldorf sowie bekannte Neonazis wie Frank Kraemer (Rhein-Sieg-Kreis). Dieses Klientel fand sich am 18. Dezember erneut auf den Straßen Düsseldorfs ein. Hier trat die Revolte Rheinland mit einem eigenen Block auf. In diesem lief sowohl Reinhild Boßdorf  wie auch die aus Köln bekannten Neonazi-Aktivistin Cindy Kettelhut und die bereits erwähnten AfD-MdL Iris Dworeck-Danielowski. Letztere kommentierte ein dabei entstandenes Selfie auf ihrer Homepage mit der Forderung „Querfront!“. Der Versuch, sich hier wie in Bonn an die Demospitze zu setzen, wurde von den Anmelder*innen aus dem dieBasis-Umfeld unterbunden. Dies führt zu einer Diskussion auf Telegram. Hier finden sich unter anderem Verschwörungserzählungen und antisemitische Codes. Zum Beispiel wird behauptet, die gesamte Protestbewegung habe „einen inhärent patriotischen Drall“, da er sich „gegen die Zersetzung durch globale Eliten“ einsetze. Diese Behauptung, hier in besonders offensichtlich antisemitischer und neonazistischer Formulierung, findet sich häufig in verschiedenen Spielarten auf allen Protesten der aktuellen Bewegung wieder.

Verschwörungserzählungen stellen eine weitere Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Proteste gegen die Corona-Schutzverordnung dar. Zu diesem strukturell antisemitischen Kern fast aller Verschwörungserzählungen kommt die permanente Relativierung der Shoah in Redebeiträgen, der Symbolik, den Selbstbezeichnungen, auf den Transparenten, Plakaten und Schildern. So trug auf einer Demonstration mit über 1.000 Personen am 18. Dezember 2021 in Aachen der AfD-Funktionär Roger Lebien ein Plakat mit der Aufschrift „Impfen macht frei“. Diese Aufschrift lehnt an den Schriftzug an, welcher auf den Toren mehrerer nationalsozialistischer Konzentrationslager (unter anderem in Auschwitz und Theresienstadt) stand. Auch am 20. und am 27. Dezember gab es in Aachen weitere Proteste gegen die Corona-Schutzverordnung, zu denen unter anderem die örtliche AfD aufrief.

Spätestens seit dem 27. Dezember tauchten auch Aktivist*innen der neonazistischen Kleinstpartei Die Rechte auf entsprechenden Demonstrationen auf. So mischten sich Mitglieder des Kreisverbandes Rhein-Erft unter die knapp 220 Demonstrierenden in Kerpen. Nach Eigenangaben waren sie auch bei Protesten in Köln anwesend. Die Rechte ruft inzwischen ganz offen auf: „Zeit zu Handeln – Volksaufstand jetzt!“. Auch andernorts scheinen sich einige „Unzufriedene“ nicht mehr mit „Spaziergängen“ zufriedenzugeben: schon am 3. Dezember tauchten vier Personen vor der Privatwohnung des neuen Gesundheitsministers Karl Lauterbach auf. Die Polizei eröffnete gegen alle vier das Verfahren. Nur sieben Tage später wurde Lauterbachs Wahlkreisbüro in Leverkusen beschmiert. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember besprühten unbekannte Schaufenster von vierzehn Geschäften in der Bonner Innenstadt mit verschwörungsideologischen und geschichtsrevisionistischen Parolen, die an die Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus denken ließen. Am 26. Dezember wurden an zahlreiche Schaufenster in Düren Zettel geklebt, auf denen ein Davidstern mit der Inschrift „ungeimpft“ abgebildet war.

Dass die Bewegung auch zu mörderischer Gewalt fähig ist, hat sie bereits bewiesen. Umso wichtiger ist es, dass Staat und Zivilgesellschaft der rasenden Radikalisierung etwas entgegensetzen. (dp)

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