10. Jahrestag der Selbstenttarnung einer extrem rechten Terrorgruppe

Gestern vor zehn Jahren, dem 4. November 2011, enttarnte sich die extrem rechte Terrorgruppe  „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU). Die Täter*innen des NSU verübten im Zeitraum von 2000 bis 2007 neun rassistisch motivierte Morde. Wir gedenken den Opfern und den Betroffenen der rassistischen Mordserie und der Anschläge des NSU:

Enver Şimşek

war das erste (bisher bekannte) Opfer der rassistischen Mordserie des NSU. Bis heute sind neben ihm noch neun weitere Todesopfer bekannt.

Abdurrahim Özüdoğru

Süleyman Taşköprü

Habil Kılıç

Mehmet Turgut

İsmail Yaşar

Theodoros Boulgarides

Mehmet Kubaşık

Halit Yozgat.

Das letzte (bisher bekannte) Opfer des NSU war die Polizistin

Michèle Kiesewetter

Jedoch darf nicht vergessen werden, dass viele weitere Menschen durch die Täter*innen des NSU verletzt und traumatisiert wurden.

Die Täter*innen lebten vierzehn Jahre im Untergrund und führten bis zu fünfzehn Raubüberfälle durch. Weiter waren sie für ein Rohrbombenattentat auf die Gaststätte Sonnenschein in Nürnberg am 23. Juni 1999 verantwortlich. Dieses Attentat war bis Juni 2013 nicht in Zusammenhang mit dem NSU gebracht worden. Der Betroffene Mehmet O. überlebte nur durch Glück, die Rohrbombe hatte einen technischen Fehler, sie explodierte nicht richtig. Darüber hinaus ist der NSU für das Sprengstoffattentat am 19. Januar 2001 in der Kölner Probsteigasse verantwortlich, bei dem das Opfer nur mit viel Glück überlebte sowie den Nagelbombenanschlag am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße, bei dem mehr als 20 Menschen schwer verletzt wurden.

Der NSU setzte sich nicht nur aus einem „Kerntrio“ zusammen, sondern griff auf ein breites Netzwerk von Dutzenden handelnden Personen zurück. Nicht erst im Rahmen des Prozesses vor dem Oberlandesgericht München wurde auch einer erweiterten Öffentlichkeit bewusst, dass die extreme Rechte kein reines „Männerphänomen“ ist. Rechten Aktivistinnen Attribute wie Friedfertigkeit oder Unpolitisch-Sein zuzuordnen, verkennt ihre Rolle. So vertreten auch Frauen menschenverachtende Positionen und übernehmen in der rechten Szene relevante Funktionen. Sie sind in ihrem Einfluss und ihrer politischen Tätigkeiten nicht zu unterschätzen.

Auch entstanden die Morde des NSU nicht in einem „luftleeren Raum“. Viel mehr wurden die Täter*innen im Klima der rassistisch motivierten Pogrome der 1990er Jahre sozialisiert. Auch unabhängig vom NSU finden weiterhin rassistische motivierte Morde statt, wie die Anschläge in Halle und Hanau zeigen. Diese Anschläge stellen die Spitze des Eisbergs von rechter Gewalt und rechtem Terror dar. Doch darunter wird eine Schicht aus institutionellem, gesellschaftlichem und diskursivem Rassismus sichtbar. So wurden etliche der Opfer und ihre Angehörigen in kürzester Zeit von den Ermittlungsbehörden als Täter*innen ausgemacht. Hinweise auf die rechte Szene hingegen wurden nicht erst genommen, hier wurde nicht vertiefend ermittelt. Ähnliches gilt für die mediale Berichterstattung, in der ebenso gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen griffen.

Weiter kam es im Rahmen der Ermittlungen zu zahlreichen Fehlern. So wurden Akten vernichtet, Zeug*innenaussagen falsch protokolliert, Tatorte von Polizist*innen verändert bevor die Spurensicherung zugegen war, um ihre Arbeit aufzunehmen. Nicht nur in den Untersuchungsausschüssen des Bundes und des Landes wurde das V-Leute-System hinterfragt und der Umgang des Verfassungsschutzes mit Informationen zum NSU-Komplex kritisiert. Auch heute sind noch viele Fragen im Zusammenhang mit der rassistischen Mordserie des NSU offen.

Wir schließen uns der Einschätzung von NSU Watch an, dass rassistische Mobilisierung und rechte Kampagnen ernst genommen und früh genug gestoppt werden müssen. Dafür brauchen wir eine starke Zivilgesellschaft, die sich rassistischen, antisemitischen und sämtlichen menschenverachtenden Mobilisierungen entgegenstellt und somit rechtem Terror die Grundlage entzieht. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Betroffenen von Rassismus zu sehen, sie ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören. Hierzu gehört auch eine Sensibilisierung für Alltagsrassismus. Wir nehmen das Gedenken somit auch zum Anlass, Fragen nach Aufklärung zu stellen, nach Verantwortung des Staates und der Gesellschaft.

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