Corona sei eine reine Erfindung der Pharmaindustrie, um anschließend der Bevölkerung einen Impfstoff zu verkaufen, das Virus werde von „denen da oben“ in die Welt gesetzt, Bill Gates wolle im Kampf gegen den Erreger den Menschen Mikrochips einpflanzen lassen und so die totale Kontrolle erlangen…. In den Sozialen Medien nahmen diese und andere Verschwörungserzählungen vor Wochen schon rasant Fahrt auf. Bekannte Rapper oder B-Promis teilen entsprechende „Wahrheiten“ im Netz und viele Menschen gehen inzwischen bei so genannten „Hygiene-Demos“, „Corona-Protesten“ oder Mahnwachen auf die Straße – auch in Köln. Dabei handelt es sich oft um ein diffuses Gemisch aus Menschen, die (zumindest vordergründig) gegen die Einschränkungen von Grundrechten protestieren wollen oder denjenigen, die einfach wieder ihr „normales Leben“ zurück wollen (und denen ansonsten vieles sehr egal ist), „besorgten Bürger*innen“, Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen und rechtsoffenen Esoteriker*innen, aber auch um ausgewiesene Rechtsextreme.
Als in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, durch die verschiedenen Coronaschutzverordnungen ein Großteil des öffentlichen Lebens heruntergefahren wurde, reagierte die extreme Rechte zunächst mit Kritik an „denen da oben“, die die Grenzen nicht rechtzeitig geschlossen hätten. Damit wurde ein Bezug zu den Themen Flucht und Migration hergestellt und – ganz im Stile der rassistischen Hetzkampagnen aus den letzten Jahren – auf die vermeintlichen Verfehlungen von Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2015 verwiesen. Vielen rechten Gruppen gingen die Einschränkungen nicht weit genug und das Regierungshandeln wurde als inkonsequent kritisiert.
Inzwischen hat sich der Wind gedreht und der Protest richtet sich hauptsächlich gegen die Gesundheitsschutzmaßnahmen und die Einschränkung von Grundrechten. Dieser „Protest“ wird im Netz und auf der Straße als Wut auf Regierung und die kulturelle und ökonomische Elite kanalisiert. So wichtig eine Debatte über die Verhältnismäßigkeit und Umsetzung von Grundrechtseinschränkungen ist, so wenig ist von rechter Seite ein Verständnis zu erwarten, dass Neuinfektionszahlen möglichst gering gehalten werden müssen oder Risikogruppen zu Recht ein verantwortungsvolles Verhalten und Schutz erwarten.
Gespeist von gezielten Desinformationskampagnen, Fake News und Verschwörungserzählungen behaupten extrem rechte Blasen, die Verordnungen bedrohten das Grundgesetz, würden eine Diktatur einläuten oder der Versklavung des „deutschen Volkes” dienen. Diese abstrusen Vorstellungen sind weit verbreitet und werden nicht nur von dem Sänger Xavier Naidoo geteilt, der schon lange für seine Affinität zu Verschwörungsideen sowie seine rassistischen und antisemitischen Verweise bekannt ist. In Andeutungen ergeht sich auch der Rapper Sido, der in einem Gespräch mit seinem Kollegen Ali Bumaye von Kindern redet, die „auf unerklärliche Weise verschwinden“ und von „sehr reichen, sehr mächtigen Leuten“. Er habe „keine Ahnung“, was sie mit den Kindern tun, glaube aber, dass es „so was“ geben könnte. Wenig später lässt er den Namen Rothschild fallen. Solche Andeutungen bieten eine offene Flanke zum Antisemitismus und Vigilantismus (also der Selbstjustiz bzw. der „gewaltsamen Erzwingung oder Verhinderung eines Verhaltens durch nicht-staatliche Akteure“). So behauptete beispielsweise der Starautor veganer Kochbücher, Attila Hildmann auf seiner Facebookseite, in Kürze werde in Deutschland die Demokratie abgeschafft und von bösen, geheimen Kräften eine „Neue Weltordnung“ installiert, gegen die er zum „bewaffneten Widerstand“ aufrufe (später entschuldigte er sich für seine Ausfälle damit, dass er versehentlich ein Stück Fleisch gegessen habe).
Wie Hildmann machen viele in dem Milliardär Bill Gates den Hauptprofiteur der Krise aus und erklären ihn daher zu ihrem Gegner. „Stoppt die Impfpropaganda – gib Gates keine Chance“ postet beispielsweise der rechte Rapper „Master Spitter“. Die perfide Parole suggeriert ganz in der biologistischen Tradition der nationalsozialistischen „Volkskörperidee“, dass Gates ein „Virus“ wie das AIDS sei. Eines der populärsten Narrative ist, dass Bill Gates hinter dem Virus stecke, um sich mit angeblichen Investitionen in Impfstoffe zu bereichern. Einige unterstellen ihm und seiner Stiftung auch, er würde im Zuge angeblicher Zwangsimpfungen Menschen mit einem Chip versehen wollen. Gerade weil es in den Verschwörungserzählungen über machtvolle Akteure – zu denen Gates oder die Pharmaindustrie und ihre ökonomischen Interessen unbestreitbar gehören – immer wieder Wahrheitskerne gibt, finden solche Argumentationen beispielsweise bei Impfgegner*innen eine große Verbreitung.
Die gegen Gates vorgebrachten Anwürfe bilden jedoch eine Brücke zu klassischen antisemitischen Stereotype, mit denen auch der Investor und Philanthrop George Soros immer wieder belegt wird: Geld und globale Aktivitäten dienten im Geheimen der Unterjochung, hinter dem „Gutmenschen“-Image verberge sich reine Raffgier. Diese Ressentiments werden – obwohl sie in der Geschichte immer wieder gegen Jüdinnen und Juden vorgebracht wurden – jedoch von vielen Menschen, die so reden und schreiben, nicht als antisemitisch wahrgenommen. Entsprechend verstehen sie sich auch nicht als Antisemit*innen oder als rechts und betonen immer wieder ihre „Friedensliebe“.
„Master Spitter“ beispielsweise zeigt sich mit einer Friedenstaube auf seinem Facebook-Profil. Hinter dem Pseudonym steckt der Verschwörungsideologe Sascha V. aus dem Rhein-Kreis Neuss, der schon bei den Protesten gegen den WDR aufgrund des „Umweltsau“-Videos eine führende Rolle spielte. Er ist einer der Administratoren des Telegram-Channels „Corona-Rebellen NRW“. Die Duisburger Lokalgruppe wurde nach Berichten von „blick nach rechts“ von Kevin Krieger initiiert, der 2015 für die Republikaner zur Kölner OB-Wahl angetreten war. Bei Chat-Gruppen wie den Corona-Rebellen finden sich auch immer wieder antisemitische Statements. So wird, wie das Essener Bündnis „Essen stellt sich quer“ anhand lokaler Beispiele und Screenshots aufzeigt, Juden beispielsweise die Schuld an mangelndem Nationalstolz gegeben. In der Essener Gruppe der „Rebellen“ habe eine Sabine K. mehr Stolz auf Deutschland gefordert, mit der Begründung, dass sie schließlich „keine Juden umgebracht” habe. Ihr Profil ziert ein verfremdeter „Judenstern“, in dessen Mitte die Aufschrift „nicht geimpft“ angebracht ist. Auch in den Kölner Telegram-Gruppen werden solche Bilder verbreitet. Die Shoah dient hier lediglich als Folie, auf der man sich selbst in die Rolle des Opfers hineinimaginiert. Mit diesen Vergleichen werden die Verbrechen des Nationalsozialismus aufs Unerträglichste verharmlost. Das gilt ebenso für ein Bild des Karikaturisten Götz Wiedenroth, das ebenfalls in Kölner Gruppen fleißig geteilt wird. Darauf ist in Anlehnung an den Eingang zum Vernichtungslager Auschwitz ein Tor mit der Inschrift „Impfen macht frei“ zu sehen. Bewacht wird es von zwei Security-Leuten mit Spritzen im Arm, der Weg ins Lager führt zu einem Bild von Bill Gates.
Ein Star der Verschwörungsszene ist Ken Jebsen, der in Köln beispielsweise von der Organisatorin der „Montagsmahnwachen“ oder „Hygiene-Meditationen“, Johanne Liesegang, gehypt wird. In seinem am 4. Mai ins Internet gestellten Youtube-Video „Gates kapert Deutschland!“, das nach nur wenigen Tagen über drei Millionen Mal geklickt wurde, kritisiert der ehemalige Radiomoderator die deutsche Regierung, die eine Impfpflicht durch die Hintertür plane (eine Behauptung, die im Übrigen auch der ehemalige „Popstars“-Juror Detlef D! Soost von sich gibt). Und – wie so oft – sei Bill Gates derjenige, der die totale Kontrolle über Weltgesundheit innehabe.
Verschwörungsmythen liefern einfache Antworten auf komplizierte Fragen. „Das Virus und seine massiven Folgen für jeden Einzelnen lassen sich nur schwer erklären und greifbar machen. Auf vieles haben wir noch keine Antworten, und die, die wir schon haben, mussten mühsam erarbeitet und oft korrigiert werden“, schreibt Marc Röhlig auf „bento“. Verschwörungserzählungen hingegen helfen dabei, einen gefühlten Kontrollverlust zu überwinden, sie geben Sicherheit und Struktur. „Gerade in Zeiten, die für viele Menschen mit großen Verunsicherungen einhergehen, gibt ein eindeutiges Feindbild letztlich vermeintlich Orientierung“ erläutert Flemming Ipsen von „jugendschutz.net“. Während es schwierig sei, gegen ein unsichtbares Virus irgendwie anzukämpfen, seien der Hass und das so personifizierte Böse wie in Form von Bill Gates schlicht greifbarer. Verschwörungserzählungen machen das Unverstandene verstehbar und dienen nicht zuletzt – für diejenigen, die glauben, sie hätten im Gegensatz zu anderen die „Wahrheit“ erkannt – der Steigerung des Selbstwertgefühls. Die Proteste haben aber auch deshalb Zulauf, weil an ihnen Menschen teilnehmen, die, salopp gesagt, einfach wieder raus wollen und sich wenig um andere Belange kümmern.
In Köln bestehen die „Corona-Protest-Milieus“ – sehr holzschnittartig beschrieben – aus verschiedenen Strängen, die alle teilweise miteinander verbandelt sind und sich andererseits auch wieder voneinander distanzieren. Da sind zum einen denjenigen, die am Samstag, den 9. Mai zu Hunderten in der Innenstadt auf der Straße waren. Ihrer Ansicht nach sind die Gesundheitsschutzmaßnahmen übertrieben, die herbeifantasierte Impfpflicht stellt für sie eine Bedrohung dar und die Mainstreammedien betreiben nach ihrer Meinung eine Gehirnwäsche. Diese Motive waren auch bei den Teilnehmenden der Menschenkette am Montag, den 11. Mai am Kölner Rheinufer präsent.
In diesen ideologischen Gefilden bewegt sich auch der Kölner Jörg Berchem mit seinen „Spaziergängen mit dem Grundgesetz“. Auf der von ihm initiierten Internetplattform „Deutschland sucht das Grundgesetz“, die an den „Erhalt der Grundrechte auch in Krisenzeit“ mahnen möchte, ist zu lesen, dass man sich von allen rechten, linken und extremen Gruppen distanziere. De facto schafft man jedoch sehr wohl einen Raum, in dem sich Verschwörungsideen, Rassismus und Antisemitismus artikulieren können. Auf der von ihm organisierten Kundgebung gegen die Corona-Beschränkungen am Sonntag, den 10. Mai auf dem Kölner Heumarkt versammelten sich unter dem Motto „Deutschland sucht das Grundgesetz“ Menschen, die sich nicht von den Maßnahmen einschränken lassen wollten und denen Klaus der Geiger mit seinen „Lobliedern auf Corona“ die Hintergrundmusik lieferte. Aber eben auch die übliche Mischung aus besorgten Bürger*innen, Esoteriker*innen und Verschwörungsanhänger*innen. Wie weit rechtsoffen diese und ähnliche Kundgebungen mittlerweile sind, zeigte u.a. die Teilnahme der bekannten Kölner Neonazis Jan Fartas und Thomas Breuer am 10. Mai 2020. An anderen Veranstaltungen wie den „Anti-Corona“-Spaziergängen in Köln beteiligten sich auch (Pseudo)hooligans aus dem Umfeld des rechten Kölner Begleitschutz.
Ein weiterer (aber mit den anderen Akteur*innen verbundener) Strang bildet Johanne Liesegang, die in Köln als eine der Hauptorganisatorin der Proteste auftritt, inzwischen aber recht isoliert zu sein scheint. In einem ihrer Aufrufe fabuliert die selbst ernannte Seherin und Astralleserin vom „Tiefen Staat“ und „dessen geheimen Machenschaften der Impf-Agenda“, wie das Kölner Aktionsbündnis „Köln gegen Rechts“ (KgR) darlegt. In den von Liesegang betriebenen Telegram-Kanälen wimmele von krudesten Verschwörungstheorien, die teilweise tief im rechtsextremen Spektrum beheimatet seien, so KgR: „Von ‚5G Experimenten, die über Satelliten übertragen werden um unsere Genetik zu verändern‘ und die für die Todesfälle verantwortlich sind, über eine ‚satanische Freimaurer-Inszenierung‘ bis hin zu Aussagen wie ‚Corona ist keine Krise sondern ein Plan, dessen Krönung die totale Weltraum gestützte Bewusstseins-Manipulation durch Mikrowellen weltweit ist!‘ ist dort so ziemlich jeder Blödsinn zu lesen. In typischen rechten Verschwörungsmustern werden dort dann noch Schaubilder der Illuminati mit direkter Verbindung zum Weltjudentum gepostet und als Wurzel allen Übels die Bill-Gates-Stiftung ausgemacht.“ Solcher Wahnsinn war auch auf der Mahnwache am 11. Mai – zu der sich nur eine Handvoll Teilnehmende einfanden – auf dem Roncalliplatz zu hören.
Die von dem Arzt Bodo Schiffmann ins Leben gerufene „Parteigründungsinitiative“ „Widerstand2020“ existiert zwar auch in Köln, ist aber bislang weder mitgliederstark noch nach außen hin sichtbar. Mit „Deutschland sucht das Grundgesetz“ hat man sich in der Domstadt zwischenzeitlich auch wieder verworfen. Die Kölner AfD beschränkt sich noch auf Propaganda gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, beteiligt sich jedoch nicht aktiv an den Protesten und verhält sich abwartend. So nehme der Kreisverband die Sorgen der Bürger ernst, die Konsequenzen der Corona-Krise jetzt schon spüren, andererseits sehe man diese Art unangemeldeter Demonstrationen kritisch.
Zusammengefasst gibt es auch in Köln zwischen den verschiedenen Lagern des Coronaprotests Differenzen und Gemeinsamkeiten, sowohl organisatorisch (beispielsweise Teilnahme an Versammlungen) als auch inhaltlich (beispielsweise der Glaube an Verschwörungserzählungen). Inwiefern sie sich auf längere Sicht vereinen oder auch voneinander distanzieren, bleibt abzuwarten. (kg)