Das Tarnen und Täuschen funktionierte nur vier Tage. Spätestens, als Journalisten darüber berichteten, dass eine „Bürger“-Initiative aus Linnich im Kreis Düren, die am 8. November eine Demonstration gegen die „Asyl-Invasion“ abhalten will, der rechtsextremen Szene nahe steht, lüfteten auch Teile der Macher langsam den Schleier. Die Nähe zur NPD und zur rechtsradikalen Hooligan-Szene wurde Ende Oktober also noch offensichtlicher, auch wenn die „Bürger“ derlei als nicht wirklich problematisch ansahen und entsprechende Vorwürfe der „Gutmenschen“ und „Lügenpresse“ als unbegründet einstuften.
Erstmals in Erscheinung getreten war die Initiative „Bürger stehen auf“ mit einem entsprechenden Facebook-Profil. Seit dem 27. Oktober kursierten Hinweise darauf und auf die Protestaktion zuerst in NPD-, Neonazi- und „Hooligans gegen Salafisten“-Kreisen. Binnen weniger Stunden stießen nicht organisierte rechtsradikale, fremdenfeindliche Facebook-Nutzer aus dem Rheinland und vom Niederrhein zu den virtuellen Fans des Profils hinzu, später dann auch Menschen, die in Linnich lebten, aber nicht zur rechtsradikalen Klientel gehören. Diskussionsverhalten, Duktus und Argumentation der Macher sowie die Gestaltung des Facebook-Auftritts deuteten indes sofort darauf hin, dass hier auch Neonazis und NPD am Werk waren, man jedoch versuchte, sich aus strategischen Gründen seriöser und als einfache „Bürger“ zu verkaufen. Trotzdem war in einem der verlinkten Fotos unter anderem klar erkennbar das NPD-Logo zu finden.
Eine ähnliche Entwicklung wiederholte sich, als die „Bürger“ später ein Veranstaltungsprofil auf Facebook frei schalteten. Von den ersten 39 Teilnahmezusagen, die sehr rasch am Morgen des 31. Oktober erfolgt waren, waren immerhin 23 Personen entweder bekannte Vertreter aus der rechten Szene zwischen NPD, „Die Rechte“ sowie HoGeSa – oder es waren Facebook-Nutzer, die selbst im Internet neonazistische und fremdenfeindliche Propaganda verbreiteten. Unter den binnen eines Tages eingehenden, virtuellen Teilnahmezusagen gehörten bis zum Morgen des 1. November dann mindestens 43 der 90 Personen der organisierten rechtsextremen und HoGeSa-Szene an respektive sie verbreiteten im Netz neonazistische und fremdenfeindliche Propaganda. Solche Personen machten oft auch gar keinen Hehl aus ihrer politischen Gesinnung. So gab unter anderem ein junger Neonazi aus dem Kreis Heinsberg in seinem Facebook-Profil als Tätigkeit an, er sei „Sturm-Führer bei der SS bei Adolf Hitler“.
Die Pressestelle der Polizeibehörde in Düren, die zugleich als Versammlungsbehörde fungiert und deswegen zur Neutralität angehalten ist, hielt sich gegenüber Medienvertretern bedeckt darüber, welchen Hintergrund die angemeldete Demonstration hat. Sie teilte nur mit, dass die Versammlung in Linnich am 8. November um 13 Uhr auf dem Place de Lesquin beginnt, über die Rurstraße zu einem nahen Kreisverkehr und bis spätestens 16 Uhr wieder zurück führt. An den jeweiligen Stationen sollen Kundgebungen erfolgen. Angaben über Redner und Anmelder der Demonstration wurden gegenüber Medienvertretern nicht gemacht, die Pressestelle teilte noch nicht einmal mit, ob die Organisatoren überhaupt in Linnich leben würden und ergo „Bürger“ sein könnten.
Zugleich kam es wegen der Demonstration und einem Teil der Drahtzieher in Behörden und Lokalpolitik längst zu aufgeregten Diskussionen. Das Datum – der Vortag zum Gedenktag anlässlich der Ausschreitungen zur Pogromnacht 1938 – wirkte provokativ terminiert. Bekannt wurde intern auch, dass der NPD-Ratsmann Christian Remberg aus Erkelenz, der zugleich Chef des NPD-Kreisverbandes Mönchengladbach ist und Monate zuvor wegen des öffentlichen Zeigens einer SS-Parole zu einer empfindlichen Geldstrafe verurteilt worden war, als Redner gesetzt war. Aus Behördenkreisen sickerte zudem durch, einige der Drahtzieher seien dem Verfassungsschutz respektive Aachener Staatsschutz schon bekannt, und zwar als Rechtsextremisten. Für die Anmeldung des Aufmarsches soll jedoch eine Person verantwortlich sein, die bisher noch nicht öffentlich als organisierter Rechtsextremist aufgefallen war.
Kurz darauf – das Tarnen und Täuschen respektive die „Samtpfotenstrategie“ waren durch die kritischen Berichte hinfällig geworden – warben ab Freitagabend auch verschiedene rechtsextreme Parteien und Facebook-Profile immer offener für die Versammlung. Samstags (31.10.) bekannte sich dann ein Hooligan aus der Region dazu, Mitorganisator im Team des „Bürger“-Protestes zu sein. Der junge Mann gehört zum HoGeSa-Spektrum und arbeitet zuweilen im Marketing, Verkauf und der Tourbegleitung der rechtslastigen Bremer Hooligan-Band „Kategorie C“ (KC). KC gilt als Bindeglied zwischen unpolitischen bis rechtsradikalen Fußballfans und Hooligans sowie Neonazis, ihre Konzerte wurden zuweilen durch die Behörden verboten, auch, weil die Band neben Hooligans oftmals Rechtsextremisten anzieht oder diese sogar KC-Konzerte organisiert haben.
Linnich wird zum Ziel der Demonstration, weil in der ehemaligen Polizeischule vor Ort eine Asylunterkunft eingerichtet wurde. Aus verschiedenen Gründen, etwa Fehlern bei der Betreuung und Belegung der Großunterkunft, kam es anfangs in der direkten Nachbarschaft oder anderen Bereichen der Kleinstadt zu Problemen mit Flüchtlingen, berichtet wurde vom Belästigungen gegenüber Frauen und Kindern durch die Asylsuchenden sowie eine gestiegene Kriminalität. Nachdem sich die Lage vor Ort beruhigt hat und einige der Vorwürfe sich auch als falsch herausstellten, wollen die „Bürger“ indes Wochen später das Rad wieder zurückdrehen und verbreiten die alten Schauergeschichten und manche Lüge erneut. Die gemeinsame Lokalausgabe der „Jülicher Nachrichten“ und „Jülicher Zeitung“ wies darauf am 31. Oktober hin und publizierte Kurzinterviews mit Menschen, die in Linnich und teilweise im Umfeld der Asylunterkunft leben und die Vorwürfe der „Bürger“ nicht bestätigen konnten.
Diese Lokalausgaben veröffentlichten zudem ein Interview mit den „Bürger“-Organisatoren des asylfeindlichen rechten Aufmarsches. Diese wollten demnach nur anonym respektive unter Angaben eines Phantasienamens antworten, so die Zeitung. In dem Interview heißt es, sie, die „Bürger“, werde es „nicht wirklich […] belaste[n]“ dass ihre Positionen sich mit jenen von Rechtsextremisten überschneiden. Allerdings würden Gegner versuchen sie als Rechtsextremisten „zu diffamieren“. Dabei wimmelte es sowohl in dem Interview, als auch auf dem Facebook-Profil nur vor Wahrheitsverzehrungen, Argumenten und Begrifflichkeiten, die aus der rechtsextremen Szene her hinlänglich bekannt sind.
Da wurde gegen „Multikulti-Phrasen“ geschimpft, von einer „zur Invasion gewordenen Völkerwanderung“ schwadroniert und überdies verurteile man den „heutige[n] Zeitgeist“. Zudem heißt es: „Wir sind die hohlen Phrasen der Gutmenschen satt, die in totalitärer und faschistischer Art versuchen, andersdenkende Menschen zu kriminalisieren.“ Bei Facebook wetterte die Initiative auch gegen das „politisch-korrekte Schweigen“ und die „totale Überfremdung unseres Landes“. Derlei Aussagen stammen so oder so ähnlich von der NPD, von anderen rechtsextremen bis neonazistischen Parteien – die der Demokratie tatsächlich vorwerfen, faschistisch zu sein – und von HoGeSa.
NPD-Kader Remberg selbst hatte schon am 27. Oktober dazu im eher unpolitisch wirkenden Duktus aufgerufen, „unsere Nachbarn in Linnich“ zu unterstützen. Nachdem der politische Hintergrund des Aufmarsches bekannt geworden war, warf Remberg am 31. Oktober „Theoretikern“ vor, „sehr fragwürdige Zusammenhänge“ zu konstruieren und diesbezüglich eine „Gerüchteküche“ zu befeuern. „Meinungsfaschisten“ störten sich daran, dass er, Remberg, als Redner fungieren werde. Antifaschistische Gruppen, Anti-Nazi-Bündnisse und lokale Parteiverbände rufen wegen solcher Verknüpfungen zu Gegenprotesten auf. (mik)