Anklage nach Angriffen auf Asylbewerber in Wassenberg

Der brutale Angriff von Jugendlichen und Heranwachsenden auf Asylbewerber in Wassenberg (Kreis Heinsberg), der im Januar Aufsehen erregte, war Teil einer Serie von solchen Übergriffen durch Personen, die sich in der Neonaziszene und deren Umfeld bewegen. Die Staatsanwaltschaft Aachen teilte nun mit, dass sie Anklage gegen insgesamt sechs Tatverdächtige erhoben hat. Die Angriffe auf Asylsuchende begannen demnach schon Ende Dezember 2014.

Rund 300 bis 350 Menschen hatten kurz nach dem schwersten der Angriffe in Wassenberg mit einer Mischung aus Kundgebung und Andacht ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit gesetzt. Im Vorfeld der Mahnwache erteilten Polizisten im räumlichen Umfeld sieben Rechten Platzverweise und verhinderten so möglicherweise Störungen.

Anlass für die Demonstration war ein Angriff auf drei Asylsuchende durch mehrere vermummte Personen, die einer Gruppe von Neonazis und rechtsaffinen Jugendlichen aus der Gemeinde und angrenzenden Orten angehören sollen. Ausgerechnet am Dienstag, den 27. Januar – dem Holocaust-Gedenktag –, attackierten diese drei Asylbewerber an der Haltestelle des Busbahnhofs am Ludwig-Essers-Platz. Die Täter waren teilweise mit Schlagstöcken bewaffnet und riefen fremdenfeindliche Parolen.

Eines der Opfer wurde schwer verletzt. Die Begleiter des Mannes blieben weitgehend unverletzt, wohl auch, weil Zeugen der Tat rasch die Polizei riefen und die Täter deswegen möglicherweise von den Opfern abließen. Kurz nach dem Angriff nahmen Polizisten einen 17-jährigen Tatverdächtigen kurzzeitig fest. Wegen Verdunkelungsgefahr wurde ein Verdächtiger kurz darauf wieder in Untersuchungshaft genommen, weil er versucht haben soll Zeugen zu beeinflussen. Nahezu zeitgleich kam es zu Hausdurchsuchungen wegen der Tat.

Gestern teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass sie Anklage gegen vier Heranwachsende und einen Jugendlichen erhoben hat. Ein 17-Jähriger, zwei 18-Jährige und zwei 19-Jährige müssen sich  demnach teilweise wegen gefährlicher Körperverletzung, Volksverhetzung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Bedrohung verantworten. Darüber Hinaus wird dem Vater eines Tatverdächtigen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung vorgeworfen. Der heute 44-Jährige soll seinen Sohn mit dem Auto zum Busbahnhof gebracht und dabei von dem geplanten Übergriff auf die Asylbewerber gewusst haben.

Das Jugendschöffengericht am Amtsgericht Heinsberg muss nun entscheiden, ob es die Anklage zulässt und einen oder mehrere Prozesse terminiert. Wegen des Alters der Tatverdächtigen dürfte ein Verfahren nicht öffentlich sein. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft geht es nicht nur um die Tat am 27. Januar, sondern um vier Vorfälle seit Dezember, bei denen es zu gewalttätigen Übergriffen auf Asylbewerber gekommen ist, die im Übergangswohnheim in Wassenberg untergebracht waren. Auslöser für die Taten waren laut Staatsanwaltschaft „offensichtlich ausländerfeindliche Motive“.

Zwei der Angeklagten sollen schon Ende vergangenen Jahres in der Innenstadt von Wassenberg mit Fäusten auf einen Asylbewerber eingeschlagen und einen Tag später diesem gedroht haben, ihn umzubringen. Ende Januar sollen dann zuerst drei der Angeklagten am Busbahnhof drei Asylbewerber aufgefordert haben, Deutschland zu verlassen. Dabei sollen sie laut „Sieg Heil“ gerufen und den Hitler-Gruß gezeigt haben. Danach verließen die Angeklagten den Busbahnhof, um kurz darauf in Begleitung zweier weiterer Angeklagter zurückzukehren.

Die Tatverdächtigen sollen laut Anklageschrift sodann teils mit Teleskopschlagstöcken und Quarzhandschuhen bewaffnet auf die drei Asylbewerber eingeschlagen haben. Zwei der Angeklagten sollen einem der Angegriffenen, als er zu Boden gegangen war, mit Springerstiefeln oder Stahlkappenschuhen ins Gesicht getreten haben. Teile der Taten sollen die Verdächtigen eingeräumt haben, zugleich sollen sie die Angriffe damit begründen, dass sie von den Asylbewerbern provoziert worden seien. Jene Begründung kursierte seit Ende Januar auch schon in sozialen Netzwerken und unter Jugendlichen, unter anderem verbreitet durch Freundinnen und Freunde der Tatverdächtigen.

Antifaschisten und Vertreter des im Kreis Heinsberg ansässigen „Bündnisses gegen Rechts“ (BgR) warnen seit Jahren davor, dass die Kleinstadt im Nordwesten des Kreises eine besonders aktive Neonaziszene hat respektive ihr als Treffpunkt dient. Polizei und Behördenvertreter mühten sich indes regelmäßig zu betonen, dass Wassenberg keine Hochburg für rechtsextreme Aktivitäten und Straftaten sei. Letztgenanntes stimmt indes nur dann, wenn man die Zahlen der durch Neonazis und deren Mitläufer begangenen Taten vereinfacht betrachtet.

Bewertet man die Brutalität und Radikalität der Straftaten und Szenenvertreter vor Ort, so kam es in den letzten Jahren in Wassenberg zu Straftaten, die als besonders herausragend gelten dürften: mehrere Angriffe durch Neonazis auf eine Kneipe beziehungsweise deren Besucher im Stadtkern fanden statt, es kam zu einem schweren Körperverletzungsdelikt durch Neonazis und diese beschmierten einmal sogar das Rathaus und die Polizeiwache großflächig. Auch in Relation zu den Einwohnern im Kreis Heinsberg gesetzt sticht Wassenberg negativ hervor.

Wassenberg stand im Vergleich mit allen Städten und Gemeinden im Kreis Heinsberg an 4. (2013) bzw. 5. (2012) Stelle, was die Häufigkeit rechter Straftaten anbelangt. Von der Einwohnerzahl her gesehen rangiert Wassenberg jedoch an 7. Stelle der insgesamt 10 Kommunen im Kreisgebiet. Vergleicht man zudem die Einwohnerzahlen aller Städte und Kommunen im Kreisgebiet mit den registrierten Straftaten aus 2013 (also: Straftaten pro Bürger), so nimmt Wassenberg hinter Hückelhoven und Gangelt sogar den 3. Platz noch vor Heinsberg ein.

2014 kam es in Wassenberg zwar zu einem Rückgang der durch Rechtsextremisten verübten Straftaten. Jedoch wurde die erfreuliche Meldung relativiert, weil die 2014 durch Rechte begangenen allgemein- und alltagskriminellen Straftaten in der Kleinstadt 2014 jenen Rückgang wieder zunichte machten. (mik)

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