Im Juni 2014 wurde im NSU-Prozess in München der Anschlag in der Kölner Probsteigasse aus dem Jahre 2001 verhandelt. Im Verlauf der Prozesstage kam ans Licht, dass es 2001 eine Spur in die Kölner Neonazi-Szene gegeben hatte, die aber nicht weiter verfolgt wurde.
Damals wurde bei dem Bombenanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft, das einer deutsch-iranischen Familie gehört, die Tochter schwer verletzt. Ein Mann hatte kurz vor Weihnachten 2000 einen Korb mit einer Dose im Geschäft abgestellt und nicht wieder abgeholt. Als die Tochter Anfang 2001 die Dose öffnete, kam es zur Explosion.
Aufgrund der Täterbeschreibung durch Tochter und Vater wurde ein Phantombild angefertigt, in dem Ermittler den Kölner Neonazi Johann H. zu erkennen glaubten. Sie legten der Familie daraufhin Fotos von H. vor. Eine Übereinstimmung konnten sie jedoch nicht erkennen. Aus diesem Grund verfolgten die Ermittler die Spur nicht weiter. Im NSU-Prozess kritisierten die Anwältinnen der Familie, die damals vorgelegten Fotos seien von so schlechter Qualität gewesen, dass keinerlei Ähnlichkeiten zu irgendeiner Person erkennbar gewesen wären.
Das kürzlich veröffentlichte Phantombild weist tatsächlich eine verstörende Ähnlichkeit zu H. auf (veröffentlicht u.a. im Express).
Als sich der NSU im November 2011 selbst enttarnte, bekannte er sich in seinem Bekennervideo auch zum Anschlag in der Probsteigasse. Bei den folgenden Ermittlungen fiel auch Mitarbeiter_innen des Verfassungsschutzes die Ähnlichkeit des Phantombildes mit Johann H. auf. Doch auch diesmal wurde der Spur nicht weiter nachgegangen. Der NSU-Prozess-Blog der Zeit zitiert diesbezüglich aus einem Schreiben des Innenministeriums: „Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung bestehen nicht“.
Auch diesmal wurde Johann H. nicht einmal vernommen. Dabei bewegt er sich seit über 25 Jahren in der Neonazi-Szene. Seine eigene Laufbahn beschrieb er 2007 in einem Gespräch mit einem Blatt der Neonazi-Szene wie folgt: „Wehrsportgruppe, Mitglied der Nationalistischen Front, bis 1994 Mitglied der Freiheitlichen deutschen Arbeiterpartei – FAP, 1998 Mitbegründer der Kameradschaft Köln, 1999 kurz nach der Gründung Mitglied des Kampfbundes Deutscher Sozialisten.“ 1985 war H. wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetzes verurteilt worden und gehörte zu einer Scharfschützen-Reservistengemeinschaft der Bundeswehr.
Angesichts dieser Biographie kann die Einschätzung des Innenministeriums nur
verwundern.
In Köln gehörte H. zum Führungszirkel der „Kameradschaft Köln“ um Axel Reitz und Paul Breuer. Als diese 2007 eine Haftstrafe absitzen mussten, übernahm H. die Führung. H. gehört nicht zu den Neonazis, die bei Demonstrationen und Veranstaltungen im Rampenlicht stehen. Er bewegt sich eher im Hintergrund. Gleichwohl ist er bereits als Redner bei internen Veranstaltungen aufgetreten, so z.B. im November 2009 in Erftstadt bei der jährlichen Jahresabschlussfeier der „Kameradschaft Köln“. Über eben jene Veranstaltung berichtete das WDR-Magazin Westpol Ende November 2011. Ein Teilnehmer hatte Westpol gegenüber ausgesagt, an dieser Veranstaltung hätten auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe teilgenommen.
Auch wenn sich der Verdacht einer möglichen Täterschaft Hs. nicht erhärtet, bleiben zum Anschlag in der Probsteigasse viele Fragen offen. Wie kam es zur Auswahl des Ziels? Das Geschäft lag abseits der großen Straßen in Köln. Von außen war nicht ersichtlich, dass es von einer deutsch-iranischen Familie
betrieben wurde. Das Phantombild weist zudem keinerlei Ähnlichkeit mit Mundlos oder Böhnhardt auf. Gehörten demnach doch noch mehr Personen zum NSU?
Oder handelt es sich nicht um einen Anschlag des NSU? Warum taucht er dann aber im Bekennervideo auf? Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl behauptete in München, dass es sich um Trittbettfahrerei gehandelt habe. Wenn dies zutrifft, bleibt die Frage, warum der NSU gerade jenen und nur jenen nicht selbst verübten Anschlag für sein Video nutzt? Dies würde bedeuten, dass der NSU, anders als die Ermittlungsbehörden, den rassistischen Hintergrund des Anschlags erkannt hätte.