Bericht von der 5. Workshoptagung für Bündnisse und Initiativen gegen Rechtsextremismus in NRW am 14. Juni 2014 in Bochum
Die nunmehr 5. Workshoptagung für Bündnisse und Initiativen gegen Rechtsextremismus in NRW fand in diesem Jahr unter widrigen Umständen statt. Die Unwetter der vergangenen Tage hatten den öffentlichen Nahverkehr im Ruhrgebiet weitgehend lahmgelegt, so dass sich der Weg zum Veranstaltungsort – dem Bahnhof Langendreer in Bochum – für die TeilnehmerInnen, die mit Bus und Bahn anreisten, nicht ganz einfach gestaltete. Gleichwohl waren am Samstag, den 14. Juni rund 65 Engagierte aus ganz NRW in das Kulturzentrum gekommen, um zu diskutieren, sich auszutauschen und zu vernetzen. Der inhaltliche Schwerpunkt der Workshoptagung widmete sich den „Perspektiven der Auseinandersetzungen mit rassistischen Kampagnen gegen Migration in NRW“.
Für viele Bündnisse und Initiativen, die vor Ort gegen Rechtsextremismus und Rassismus aktiv werden, ist besonders in den letzten zwei Jahren dieses Themenfeld zu einer zentralen Herausforderung geworden. So machen an zahlreichen Orten rechtspopulistische und neonazistische Parteien gegen Geflüchtete und andere Zugewanderte mobil. Wie schon im vergangenen Jahr anlässlich der Bundestagswahlen versuchten die „Bürgerbewegung Pro NRW“, die Republikaner, die NPD und „Die Rechte“ bei den Kommunal- und Europawahlen im Mai 2014, Überfremdungsängste und rassistische Ressentiments aufzugreifen und weiter zu schüren. Zwar konnten RechtspopulistInnen und Neonazis mit ihren Kampagnen gegen „Asylantenflut“ (Pro Köln), „Problemhäuser“ (NPD) und „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ (Die Republikaner) nicht flächendeckend punkten, landesweit wurden aber immerhin 90 KandidatInnen dieser Parteien in Stadträte, Kreistage und Bezirksvertretungen gewählt – darunter auch der langjährige Neonazi Siegfried Borchardt, dessen Partei „Die Rechte“ u.a. mit dem Wahlslogan „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ ein Mandat im Rat der Stadt Dortmund erzielte. Ob die extreme Rechte damit ihr Potential vollständig ausgeschöpft hat, bleibt ungewiss, haben sich doch in jüngster Zeit in einigen Kommunen und Stadtteilen AnwohnerInneninitiativen formiert, die oftmals aggressiv und mit nicht selten rassistisch aufgeladenen Argumentationsmustern gegen die Einrichtung von Unterkünften für Geflüchtete polemisieren. Auf ähnliche Ablehnung stoßen vorwiegend aus Südosteuropa einreisende Menschen, die sich im Einklang mit der in der EU geltenden Freizügigkeit in Deutschland niederlassen.
Antiziganistische Diskurse und die Ethnisierung sozialer Probleme
Diese Eindrücke aufgreifend, widmeten sich die ersten beiden Vorträge der Workshoptagung der Frage, welche diskursiven Praktiken und strukturellen Bedingungen die vielschichtigen Diskriminierungen von MigrantInnen mit hervorbringen und somit auch die Resonanzräume für rassistische Kampagnen erhöhen. Zunächst zeichnete Alexandra Graevskaia vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) in ihrem Beitrag über „Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit“ die aktuellen Debatten um Flucht und Migration aus Südosteuropa nach. Sie stellte dabei heraus, dass in den öffentlichen und politischen Diskursen zwischen einer positiv konnotierten „nützlichen“ Migration von Hochqualifizierten und Fachkräften im Sinne des Wirtschaftsstandorts Deutschland und einer mit negativen Zuschreibungen belegten „Einwanderung in die Sozialsysteme“ unterschieden werde. In dieser Wahrnehmung gelten vor allem Roma als „ArmutsmigrantInnen“, die als sozial und kulturell „anders“ und somit als potentielle Bedrohung für die Mehrheitsgesellschaft beschrieben werden.
Ihre These illustrierte Alexandra Graevskaia mit zahlreichen Beispielen aus medialen und politischen Diskursen vorwiegend aus Duisburg, in denen explizit oder implizit Roma häufig mit Verwahrlosungstendenzen in Stadtvierteln ebenso in Verbindung gebracht werden, wie mit organisierter Kriminalität und archaischen Clan-Strukturen. Roma erscheinen in dieser Sichtweise nahezu ausschließlich als „Problemverursacher“. In ihrem Fazit betonte Alexandra Graevskaia, dass die skizzierten Diskurse durch eine massive „Ethnisierung“ tatsächlich sozialer Lagen und Verhältnisse gekennzeichnet seien. Die in unterschiedlichen Bereichen stattfindende rassistische Stigmatisierung von ZuwandererInnen aus Südosteuropa könne sich nicht zuletzt auf ein in der Gesellschaft breit verankertes, durch tradierte Stereotypen geprägtes „antiziganistisches Wissen“ stützen. Als problematisch bezeichnete die Referentin somit nicht die Migration, sondern die rassistischen Diskurse innerhalb der Mehrheitsgesellschaft.
Das Asylsystem – Ausgrenzung per Gesetz?
Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus gegenüber MigrantInnen sind jedoch keine ausschließlich diskursiven Phänomene, sondern spiegeln sich auch im europäischen und deutschen Asylsystem wider, was Dr. Zübeyde Duyar in ihrem Vortrag verdeutlichte. Die Rechtsanwältin, die für den Arbeitskreis Asyl in Bielefeld tätig ist, gab einen ebenso umfassenden wie beklemmenden Einblick in das unübersichtliche Geflecht aus europäischen Richtlinien, nationalen Verordnungen und transnationalen Institutionen, die scheinbar vor allem einem Zweck dienen sollen: „So wenige Geflüchtete wie möglich aufzunehmen und so viele wie möglich abzuschieben.“ Die Europäische Asylpolitik stelle, argumentierte Zübeyde Duyar, den „Grenzschutz“ über den „Menschenschutz“. Deren zentrale Instrumente seien die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX, die Einrichtung eines hochtechnisierten Grenzüberwachungssystems auf Grundlage der so genannten ‚EUROSUR’-Verordnung sowie die seit Januar 2014 gültige Dublin-III-Verordnung, mit der neben einer einheitlichen Regelung des Asylverfahrens eine möglichst lückenlose europaweite polizeiliche Erfassung von Geflüchteten gewährleistet werden soll.
Jene Menschen, denen es dennoch gelungen ist, in die Bundesrepublik zu fliehen, sind dort einem engmaschigen Kontroll- und Sanktionierungssystem unterworfen, das von Wohnsitzauflagen, temporären Arbeitsverboten, einer oftmals unzureichenden medizinischen Versorgung und, bedingt durch die Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, durch kaum vorhandene Teilhabemöglichkeiten am sozialen und kulturellen Leben gekennzeichnet ist. Die daraus resultierende Isolierung und Handlungsunfähigkeit, trage dazu bei, dass sich der Gesundheitszustand vieler Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Deutschland verschlechtern würde. Nicht zuletzt sei das repressive Asylsystem mit dafür verantwortlich, die davon Betroffenen als „Fremde“ und „Andere“ zu stigmatisieren, was wiederum den ausgrenzenden und rassistischen Tiraden der extremen Rechten Vorschub leiste.
Alexandra Graevskaia und Zübeyde Duyar zeichneten in ihren Vorträgen somit ein eher düsteres Bild der deutschen bzw. nordrhein-westfälischen Zustände, das nur schwerlich zu der allenthalben behaupteten und beschworenen „Willkommenskultur“ passte. In den folgenden Workshops sollten die von den Referentinnen angerissenen Aspekte weiter vertieft werden. Vor allem ging es aber darum, gemeinsam konkrete Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren und zu erarbeiten.
Blumenhändler und andere Akteure lokaler „Willkommenskulturen“
Im Workshop „Wie umgehen mit AnwohnerInnenprotesten und rassistischen BürgerInneninitiativen gegen Flüchtlingswohnheime?“, der von Hendrik Puls und Michael Sturm (Mobile Beratung im RB Münster) angeboten wurde, beschäftigten sich die TeilnehmerInnen mit den nicht selten hoch emotional geführten Auseinandersetzungen, die sich regelmäßig vor oder während der Einrichtung von Unterkünften für Geflüchtete in Kommunen und Stadtvierteln entzünden. Kristallisationspunkte dieser Kontroversen bilden häufig BürgerInnenversammlungen, die oftmals von extrem rechten AktivistInnen als Forum für ihre rassistische Agitation genutzt werden, in denen aber auch immer wieder AnwohnerInnen ihre ressentimentgeladenen Haltungen lautstark artikulieren. Die WorkshopteilnehmerInnen waren sich darin einig, dass es in diesem Kontext zu kurz greife, auf extrem rechte Polemiken lediglich zu reagieren. Notwendig sei vielmehr eine pro-aktive Öffentlichkeitsarbeit, in die möglichst viele lokale Akteure miteinbezogen werden sollten. Von zentraler Bedeutung sei eine klare menschenrechtsorientierte Positionierung aller demokratischen Parteien und politisch Verantwortlicher. Die Einrichtung von Unterkünften für Geflüchtete dürfe nicht zum Gegenstand vordergründiger Polemiken und populistischer Wahlkampfrhetorik werden.
Doch auch darüber hinaus sei es notwendig, weitere BündnispartnerInnen mit ins Boot zu holen. So betonten etwa Aktive des Bündnisses „Kein Veedel für Rassismus“, die von ihren Erfahrungen mit den Auseinandersetzungen um eine Flüchtlingsunterkunft in Köln-Riehl berichteten, die Bedeutung des Engagements der Kirchen wie auch der BetreiberInnen lokaler Geschäfte – beispielsweise eines Blumenhändlers im Stadtteil – die sich entschieden auf die Seite der Geflüchteten gestellt hatten. Ebenso wichtig sei es, was auch von anderen TeilnehmerInnen des Workshops hervorgehoben wurde, den Kontakt zu lokalen Medien, besonders auch zu Stadteilzeitungen und Gratisblättern zu suchen, um diese für eine sensible, den Geflüchteten gegenüber wertschätzende Berichterstattung zu gewinnen. Umgekehrt wurde angemerkt, dass nicht jede kritische oder ablehnende Äußerung etwa von AnwohnerInnen pauschal unter Rassismusverdacht gestellt werden könne. Vielmehr gelte es, etwaige Ängste und Vorbehalte durch breite und niedrigschwellige Informationsangebote, etwa in Form von Flyern, im Internet bzw. in den Sozialen Netzwerken oder im Rahmen von Veranstaltungen, abzubauen. Von zentraler Bedeutung sei es ferner, Kontakte zu den Geflüchteten zu knüpfen und diesen „auf Augenhöhe“ zu begegnen. Zübeyde Duyar ergänzte diese beiden Berichte durch einen Einblick in die praktische Arbeit des AK Asyl Bielefeld und betonte, wie wichtig auch ehrenamtliches Engagement für diese Arbeit ist.
„Geflohen, aber nicht am Ziel!“ Lebensbedingungen und Selbstbehauptung von Geflüchteten
Um die Lebensbedingungen und Handlungsspielräume von Geflüchteten ging es im Workshop „Geflohen, aber nicht am Ziel! Der ganz alltägliche Rassismus und Geflüchtetenproteste“, der von Sabine Wilke (Mobile Beratung im RB Detmold) und Zübeyde Duyar moderiert wurde. Die Rechtsanwältin schilderte eindringlich die oftmals entwürdigenden Umstände, unter denen die Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften leben. So wird deren Bewegungsfreiheit durch die Residenzpflicht erheblich beschnitten. Statt Bargeld erhalten die Geflüchteten oftmals nur Sachleistungen in Form von Gutscheinen – eine Praxis, die es den Betroffenen nahezu unmöglich macht, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft teilzunehmen. Darüber hinaus gebe es zahlreiche Verordnungen und Gesetze, die nicht nur den Alltag von Geflüchteten erschweren würden, sondern auch die Möglichkeiten, sich politisch zu engagieren.
Umso bemerkenswerter sei daher, dass es seit einiger Zeit Ansätze zur Selbstorganisation gebe, um für grundlegende Rechte und ein würdevolles Leben zu kämpfen. Zu nennen sind hier beispielsweise die „Refugee-Märsche“ von Würzburg nach Berlin bzw. von Würzburg nach München in den Jahren 2012 und 2013 oder die demonstrative Einrichtung von „Refugee-Camps“ auf öffentlichen Plätzen in verschiedenen Städten. Zübeyde Duyar betonte jedoch die Notwendigkeit, politische Proteste geflüchteter Menschen durch breite gesellschaftliche Bündnisse zu unterstützen – wobei diese nicht bevormundend und paternalistisch gegenüber den Betroffenen auftreten sollten.
„Don’t Worry Be a Romnj-Roma Women“ – Selbstorganisation von Roma-Frauen
„Selbstbestimmung“ war auch der Schlüsselbegriff des von Patrick Fels (Mobile Beratung RB Köln) moderierten Workshops der sich der „Roma-Selbstorganisation am Beispiel von Romane Romnja“ widmete und von Gordana Herold – Aktivistin von Romane Romnja aus Köln – gestaltet wurde. Den Ausgangspunkt für die Initiative bildete die erste 2007 durch die EU organisierte Internationale Konferenz der Roma-Frauen in Schweden. Durch Vernetzung und Austausch motiviert wurde am 8. März 2008 Romane Romnja in Köln gegründet und verfügt inzwischen über Ableger in weiteren Städten in ganz Deutschland. Alle bei Romane Romnja aktiven Frauen machen dies neben ihrem Hauptberuf, arbeiten also ehrenamtlich.
Gordana Herold sprach in diesem Zusammenhang von der dreifach Unterdrückung von Roma-Frauen: Durch Ethnisierung als Roma in der deutschen Gesellschaft, auf der Gender-Ebene als Frau und auf der sozialen Ebene durch den häufig sehr schwachen ökonomischen Status. Weiterhin ging sie darauf ein, dass eine Selbstorganisation von Roma-Frauen in der eigenen Community auf eine Reihe von Vorbehalten stoße und die Organisierung entsprechend wenig Unterstützung erfahre. Der Weg und das Ziel von Romane Romnja ist das Empowerment von Roma-Frauen, um sie durch Bildung zu stärkeren und zu Selbstbewusstsein zu verhelfen, damit auch sie aktiv am gesellschaftlichen Leben partizipieren können. Gleichzeitig wenden sie sich gegen die mediale Konstruktion und Reproduktion von Klischeebildern, die Roma-Frauen meist nur exotisierend in „bunten Röcken“ darstellen. Zu den wichtigsten Projekten gehören u.a. die Facebook-Kampagne „Don’t Worry Be a Romnj-Roma Women“, an der sich Roma-Frauen aus der ganzen Welt mit ihrem Foto beteiligen können, Kunstprojekte und Ausstellungen, die die Vielfältigkeit von Roma-Frauen sichtbar machen wollen oder das bundesweite Informationsportal AGORA. Ebenso werden Trainings für Roma-Frauen angeboten, um sich weiter zu qualifizieren. Frauen werden zudem durch Romane Romnja beraten und zu verschiedenen Lebenssituationen, insbesondere im Bereich Bildung, Arbeitsmarkt und Gesundheitsweisen begleitet.
Aktionsformen für- und miteinander gestalten Dieser von Lenard Suermann (Mobile Beratung RB Arnsberg) moderierte Workshop sollte als ein Forum für gelungene antirassistische Aktionen wie für zukünftige Herausforderungen dienen. Im Fokus standen also die Erfahrungen und Fragen der Teilnehmenden. Zunächst beleuchtete Iris Biesewinkel vom Flüchtlingsplenum Aachen in einem Impulsvortrag über verschiedene Ebenen rassistischer Diskriminierung und den daraus folgenden Möglichkeiten antirassistischen Handelns, wobei sie insbesondere auf die Notwendigkeit einer klar solidarischen Haltung einging. Es gelte, Rassismus klar zu benennen und gerade auch innerhalb der eigenen Netzwerke sensibel für latenten Rassismus zu sein.
Bezüglich des derzeit populären Begriffs der „Willkommenskultur“ stellte Frau Biesewinkel heraus, dass eine Grundhaltung der Offenheit und Akzeptanz gegenüber MigrantInnen selbstverständlich sein sollte. In der Praxis sei allerdings oft nicht klar, an wen sich die „Willkommenskultur“ tatsächlich richte. Angesichts der strukturellen Diskriminierung im Bildungssektor und auf dem Arbeitsmarkt erweise sich diese leider allzu oft als Feigenblatt der Leistungsgesellschaft. Auch seien jene MigrantInnen, die schon (lange) in Deutschland leben, oftmals nicht angesprochen.
Für das daran anschließende Diskussionsforum wurden die Teilnehmenden aufgefordert, Fragen zu notieren, die dann gemeinsam besprochen wurden. Hierbei zeigte sich zum einen das bei den Teilnehmenden vorhandene Know-How, zum anderen wurde noch einmal deutlich, wie vielschichtig die Zugänge zum Thema sein können. Insbesondere für das konkrete Anliegen eines Teilnehmenden, die Bedingungen einer Unterbringung für Asylsuchende zu verbessern, wurden zahlreiche Tipps, Vorschläge und Überlegungen zusammengetragen. Um diesen solidarischen Austausch auch nach dem Workshop weiterführen zu können, hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre Kontaktadresse zu hinterlegen. Die Diskussion um solidarische Praxen wird also, zumindest virtuell, über die Workshoptagung hinaus weitergehen.
„Unsere neuen Nachbarn“ – Gute Beispiele aus der Praxis
Zum Abschluss der Tagung stellten zwei VertreterInnen lokal aktiver Initiativen Beispiele gelungener Praxis zur Diskussion. Susanne (Bündnis „Kein Veedel für Rassismus“) beschrieb, wie es gelang im Kölner Stadtteil Riehl eine anfänglich skeptische und ablehnende Haltung gegenüber neuen Geflüchteten zu verändern. Auf Anregung des Bündnisses bildete sich nach einer städtischen Informationsveranstaltung ein Runder Tisch Riehler BürgerInnen, die ausführlich beratschlagten, wie sie die neu in den Stadtteil ziehenden Geflüchteten unterstützen können. Immer stärker gerieten die konkreten Lebensumstände der Geflüchteten in den Mittelpunkt. So schufen BürgerInnen eine „Soli-Kasse“ zur finanziellen Unterstützung und es bildeten sich Patenschaften, die auch bei der Wohnungssuche helfen sollen. Zusätzliche Dynamik entstand durch die Ankündigung von „Pro Köln“ einen Fackelmarsch im Stadtteil durchzuführen, der sich gegen die Asylsuchenden richtete. Mit Unterstützung der stadtweiten Kampagne „Kein Veedel für Rassismus“ gelang eine eindrucksvolle Gegenmobilisierung, die letztendlich für den Ausfall der „Pro Köln“-Demonstration sorgte. Wichtiger noch als dieser konkrete Erfolg war allerdings der Perspektivwechsel, den viele BewohnerInnen von Riehl im Zuge der Auseinandersetzung vollzogen. Dieser zeigte sich schon deutlich in der Wortwahl: Aus den „Asylbewerbern“ wurden „unsere neuen Nachbarn“, die vor den rassistischen Angriffen von Pro Köln geschützt werden sollten. Um die schon im Stadtteil lebenden Asylsuchenden nicht der Situation einer hetzerischen „Pro Köln“-Kundgebung auszusetzen, besuchten AnwohnerInnen am Tag der angekündigten rechten Demonstration mit ihnen den Zoo bzw. ein Fußballspiel. Diese Erfahrungen aus Riehl sollen nun auch Aktiven in anderen Kölner Stadtteilen zu Gute kommen.
In der Diskussion um Einwanderung aus den osteuropäischen EU-Staaten stehen die konkreten Arbeits- und Lebensverhältnisse von Zugezogenen nur selten im Mittelpunkt. Alina vom „Offenen Antirassistischen Treffen Emsdetten“ gab einen Einblick, welche Ausbeutungsverhältnisse beispielsweise in der fleischverarbeitenden Industrie herrschen. Während ihrer Recherche über die Lebensbedingungen von Asylsuchenden in ihrer Stadt stießen die Jugendlichen der Initiative auf einen Häuserblock an der Emsdettener Taubenstraße, dessen Gebäude sich in einem äußerst schlechten Zustand befinden. In Gesprächen mit den BewohnerInnen stellte sich heraus, dass in dem Block Wanderarbeiter aus Ungarn und zum Teil deren Familien wohnten, die in einem zum Sprehe-Konzern gehörenden Zerlegebetrieb arbeiteten. Sie waren nur mit Werksverträgen bei Subunternehmern angestellt und warteten teilweise schon mehrere Wochen auf ausstehenden Lohn. Die teure Miete für die heruntergekommenen Wohnungen wurde ihnen ebenfalls über den Lohn abgerechnet. Die Aktiven des „Offenen Antirassistischen Treffens“ unterstützen die ArbeiterInnen in ihren Kämpfen für die Auszahlung ihres Lohnes und bessere Arbeitsbedingungen, in dem sie während einer konkreten Notlage Essenspenden sammelten, Öffentlichkeit durch Medienberichte und eine Demonstration herstellten und Kontakte zu Gewerkschaften und der Stadtverwaltung vermittelten. Mittlerweile haben die ArbeiterInnen neue Arbeitsverträge bei einem anderen Subunternehmer, deren Bedingungen für sie etwas besser sind. Zufrieden ist Alina mit dem Ergebnis allerdings noch nicht. Aber es zeige sich, dass durch das Engagement, das die Kämpfe der Betroffenen unterstützt, Fortschritte und Verbesserungen erzielt wurden.
Expertise schaffen – Unterstützung organisieren – auf Augenhöhe handeln
Trotz der vielschichtigen Probleme, die in den Eingangsvorträgen, den Workshops und in der Abschlussdiskussion benannt wurden und die weit über die Bekämpfung des organisierten Rechtsextremismus hinausweisen, bot die Tagung ein produktives Forum, gute Ideen und Konzepte auszutauschen. Und davon gibt es eine ganze Menge! Die Herausforderung für Bündnisse und Initiativen besteht nun vor allem darin, ihre umfangreichen Erfahrungen und ihr Wissen an andere Engagierte weiterzugeben. Die Workshoptagung lieferte hierzu einen zumindest kleinen Beitrag.
Ein beachtenswertes Projekt in diesem Zusammenhang ist die „Aktion Schutzschild“, die Jan Riebe von der „Amadeu Antonio Stiftung“, die auch die Veranstaltung in Bochum finanziell gefördert hatte, vorstellte. Die Stiftung möchte mit dem Projekt an bestehende und durchaus erfolgreiche Erfahrungen in der Mobilisierung und Vernetzung von Zivilgesellschaft insbesondere im ländlichen Raum anknüpfen, mit dem Ziel rassistischer Hetze eine Willkommenskultur für Geflüchtete entgegenzusetzen. Die „Aktion Schutzschild“ möchte einerseits mittels eigener Aktivitäten Expertise aufbauen und andererseits bundesweit örtliche Initiativen und Kommunen beraten, wie Geflüchtete vor Gewalt geschützt und Integrationshilfen vor Ort geleistet werden können.
Dass Initiativen und Bündnisse die Perspektive, die Forderungen und Bedürfnisse der betroffenen Asylsuchenden und EinwandererInnen nicht übergehen dürfen, sondern diese immer wieder in ihre Aktivitäten einbeziehen sollen, dafür plädierte Zübeyde Duyar in ihrem Abschlussstatement. Letztlich zeigte sich, dass es nicht nur darum gehen kann, rassistische Mobilisierungen abzuwehren, sondern ebenso die Betroffenen zu unterstützen – konkret im Asylverfahren und darüber hinaus vor allem auch in ihren politischen Kämpfen gegen Diskriminierung und für ein Bleiberecht.
Autor: Hendrik Puls, Mobile Beratung Münster