Perspektiven der Erinnerung an Rechte Gewalt in NRW
Tagung im Haus der Jugend in Solingen, 8. Juni 2013
Bereis zum vierten Mal trafen sich gegen Rechtsextremismus Engagierte aus Bündnissen, Initiativen, Vereinen und Verbänden Nordrhein-Westfalens zur Workshoptagung „Dagegen! Und dann…?!”. Die Mobile Beratung NRW hatte in diesem Jahr nach Solingen eingeladen, um ausgehend vom 20. Jahrestag des Brandanschlag in der Unteren Wernerstraße über „Perspektiven der Erinnerung an Rechte Gewalt in NRW” ins Gespräch zu kommen.
Dieser kurze Tagungsbericht soll einen ersten Eindruck der Diskussionen und Ergebnisse der Tagung bieten. Eine ausführlichere Dokumentation wird die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW während der Sommermonate erstellen und allen Interessierten zugänglich machen.
„Politiker bewegen sich, wenn sie das Gefühl haben, dass jemand hinter ihnen steht – und nicht, wenn ihnen der Wind ins Gesicht weht”, so Dr. Christoph Kopke (Moses-Mendelssohn-Zentrum Potsdam) in seinem Einführungsvortrag. Er plädierte anhand unterschiedlicher Beispiele der Beschäftigung mit der Erinnerung an rechte Gewalt dafür, zivilgesellschaftlichen Druck auszuüben, um die Diskussionen vor Ort „anzuschieben”. Dabei sei klar, dass ein langer Atem nötig ist: von der Konfrontation über eine Annäherung zu einem möglichen Konsens vor Ort zu kommen, sei aber die Voraussetzung für eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung
Das Ziel sollte es daher sein, mit dem Engagement für eine Erinnerungskultur hinsichtlich rassistischer Übergriffe und Anschläge ein „positives” Angebot zu machen, das auch „Politik und Autoritäten” mitnimmt. Von dieser Idee ließen sich die über 80 TeilnehmerInnen aus ganz Nordrhein-Westfalen in den Diskussionen in den Workshops und Pausen inspirieren.
Welche Auswirkungen der sogenannte Asylkompromiss bis heute auf die Auseinandersetzung um Migration, Flucht und Asyl hat, wie in Dortmund und Köln die Erinnerung an die Opfer des NSU gestaltet wird, welche Rolle Diskurse um Neonazi-Terrorismus in der Bundesrepublik jenseits des NSU überhaupt spielen und wie die Erinnerung an Rechte Gewalt auch über Solingen hinaus, beispielsweise angeknüpft an die vielen heute vergessenen/verdrängten Vorfälle der frühen 1990er Jahre in NRW aussehen kann, diskutierten die TeilnehmerInnen in den angebotenen Workshops.
In den kleineren Gruppen wie auch in den Pausengesprächen wurde dabei deutlich, dass es in vielen Orten und Regionen NRWs Engagierte gibt, die sich stark machen wollen für eine aktive Erinnerungskultur. Oftmals fehlt es aber sowohl an Wissen (vor allem hinsichtlich der heute größtenteils ins Vergessen geratenen rassistischen Anschläge und Übergriffe jenseits von Solingen beziehungsweise auch schon vor den 1990er Jahren) als auch an Unterstützung vor Ort. Dort, wo Ideen offensiv, kleinumgesetzt und mit Perspektive umgesetzt werden, kommt es in der Regel aber auch zu einer Dynamik im Ort, die anderen mitnimmt – oder zumindest für kontroverse Diskussionen sorgt.
Dies spiegelte auch das abschließende Gespräch mit Dr. Christoph Kopke, Dr. Ayla Güler-Saied (Initiative Kino Keupstraße – Dostluk Sineması) und Timo Götze (Dachverein Reichenstraße e.V. Quedlinburg) wider. Die „Sache rausbrüllen, möglichst laut”, das war der Startpunkt für die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt), wo Timo Götze mit Jugendlichen aus der Stadt eine Debatte um den Umgang mit rassistischen Ausschreitungen 1992 mit dem Film “Erlebt und Vergessen?! Sechs Tage im September” anschob. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage „Wo würdest du heute stehen?”. Christoph Kopke forderte noch einmal deutlich ein, dass beispielsweise BürgermeisterInnen sich positionieren müssten – ein deutliches Signal sei hier wichtig, auch um heute Solidarität mit tatsächlichen und potentiell Betroffenen zu erzeugen.
Anknüpfen an aktuelle Fragen des Zusammenlebens will auch die Initiative „Kino Keupstraße” aus Köln, die unter dem Titel „Von Mauerfall bis Nagelbome. Geschichte aus der Keupstraße zum NSU-Anschlag und Filme über die Pogrome der frühen 1990er Jahre” das Schweigen über die Aufarbeitung und die skandalösen Ermittlungen rund um den Anschlag von 2004 aufbrechen und die Diskussion in die Stadtgesellschaft getragen hat. Ayla Güler-Saied machte vor allem deutlich, dass die Betroffenen nicht auf ihren Opferstatus reduziert werden sollten, sondern als ExpertInnen und AkteurInnen wahrgenommen werden müssen. Es gelte, „nicht nur zu gucken: ‘Was machen die Nazis?’, sondern eigene Verstricktheiten zu thematisieren und Rassismus nicht länger unter den Tisch fallen zu lassen.”
(Text und Fotos: Heiko Klare für die Mobile Beratung NRW)
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Auch 2014 plant die Mobile Beratung NRW eine weitere Tagung in der Reihe „Dagegen! …und dann?!”, voraussichtlich Ende Mai/Anfang Juni, zentral erreichbar in einem sozio-kulturellen Zentrum im Ruhrgebiet. Dabei werden wir – auch um Anregungen aus dem Plenum der diesjährigen Tagung aufzugreifen – wieder stark die praktische Arbeit von Bündnissen thematisieren und versuchen, möglichst praxisnahe Handlungstipps zu geben. Wir freuen uns schon jetzt auf den gemeinsamen Austausch.
Seit 2010 lädt die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW zur jährlichen Workshoptagung „Dagegen! …und dann!“ ein. Sie möchte Bündnissen, Initiativen, Fachkräften, MultiplikatorInnen und engagierten Einzelpersonen, die Gelegenheit bieten, über Probleme und Erfahrungen in der alltäglichen Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus ins Gespräch zu kommen, sich kennen zu lernen und zu vernetzen. Weitere Informationen zu den vorherigen Workshoptagungen:
- Tagungsbericht zu „Dagegen! …und dann?!“ III in Bochum 2012, „Was tun zwischen den Aufmärschen“
- Tagungsbericht zu „Dagegen! …und dann?!“ II in Dortmund 2011, „Bratwurst und Blockaden“
- Erweiterer Tagungsbericht zu „Dagegen! …und dann?“ I in Bochum 2010: „Dagegen!” Und dann…?! Rechtsextreme Straßenpolitik und zivilgesellschaftliche Gegenstrategien in NRW (= Villa ten Hompel Aktuell Bd. 14)“