Zum wiederholten Male säuberten Pulheimer BürgerInnen ihre Stadt am vergangenen Samstag von großflächig verklebter Neonazipropaganda. Dem Aufruf von „Pulheim Putzmunter gegen Nazis“ folgten nicht nur zahlreiche HelferInnen. Auch einige Neonazis, die sich als Mitglieder der Partei „Die Rechte“ vorstellten, verteilten Flyer und diskutierten mit den Engagierten vor Ort. Brenzlig wurde es bei der Abreise. Von einem Journalisten verlangten die Rechten das Löschen von Fotos.
Die OrganisatorInnen sprechen von 150 SchülerInnen und Erwachsenen, die dem Aufruf zur Säuberung der Stadt gefolgt sind. Aufgeteilt in sechs Gruppen kratzen die HelferInnen Aufkleber und Plakate ab, putzen die von Edding und Graffiti verschandelte Flächen und notieren die Fundstellen, die sie mit ihren Haushaltsmitteln nicht selber säubern konnten. Später wurden diese Listen dem Ordnungsamt übergeben, damit sich die Stadt der restlichen Flächen annehmen kann.
Auf dem Pulheimer Marktplatz hat das Bündnis einen Infopunkt aufgebaut, der zugleich als Treffpunkt für die HelferInnen dient. Kurz nach Beginn taucht die erste Gruppe von sechs Neonazis auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf. Einer fotografiert die Engagierten mit seinem Handy.
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich bereits ein siebter Sympathisant der Partei „Die Rechte“, der sich als interessierter Antifaschist ausgibt auf dem Marktplatz. Er versucht gezielt mit jüngeren Menschen ins Gespräch zu kommen, fragt nach deren Wohnorten, ihren Berufen und politischen Kontakten. In dem Glauben nicht als Rechter erkannt worden zu sein, bleibt er bis zum Schluss auf dem Marktplatz.
Neonazis mischen sich ein…
Im Gegensatz zu dem Einzelnen ist die größere Gruppe nicht zum ausspionieren der politischen Gegner gekommen. Während sich einer aus der Gruppe löst und auf die Engagierten auf dem Marktplatz zugeht, nehmen die restlichen fünf in Sichtweite auf Parkbänken Platz und beobachten das Geschehen. In seinen Händen hält der Einzelne einen Stapel gelber Flyer. Mit „Sie sagen Neonazis und meinen uns Deutsche“ ist das Flugblatt überschrieben, für das Andre Plum aus Aachen als Presserechtlich verantwortlicher angegeben wird. Bis zum Verbot der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) 2012 gehörte Plum zu dessen Kern.
Inzwischen ist Plum Mitglied der Partei „Die Rechte“.
Der Flyerverteiler sucht das Gespräch mit Vertretern von „Pulheim Putzmunter“ und stellt sich als 19-jähriger Mönchengladbacher auf Ausbildungssuche vor. Joch und fünf Pfeile zieren den einzigen Button an seiner schwarzen Kappe. Es handelt sich dabei um die Fahne der Falange Española – einer 1933 in Madrid gegründeten faschistischen Bewegung, die Francisco Franco zur Macht verhalf. Wer für die Schmierereien in Pulheim verantwortlich sei, wisse er nicht. Mit den Autonomen Nationalisten Pulheim (ANP) stünde er auch nicht in Kontakt. Er sei Mitglied der Partei „Die Rechte“ und kein Extremist. Weiterer Beweis für seine demokratiefeindliche Haltung ist das von ihm verteilte Flugblatt. Dort wird unter anderem angeprangert, dass es in der Bundesrepublik nicht erlaubt sei, das Deutsche Reich zu „billigen“. Positiv wird Bezug auf die mutmaßlichen Mitglieder des inzwischen verbotenen „Aktionsbüro Mittelrhein“ genommen, die gezielt Gegner ausgespäht haben sollen und für zahlreiche Anschläge auf Autos von politischen Gegnern und diverse Gewalttaten gegen AntifaschistInnen verantwortlich gemacht werden. Der Prozess vor dem Landgericht Koblenz wird seit August 2012 verhandelt.
Nach einiger Zeit gesellt sich ein korpulenter, großgewachsener Aktivist, der zuvor noch abseits gestanden und die Szenerie beobachtet hatte zu den verbleibenden 10 Putzmunter-Aktivisten. Auch er sei Demokrat, Mitglied der Partei „Die Rechte“ und habe mit Extremisten nichts zu tun. Er selbst habe auch keinen Kontakt zur ANP. Auf einem seiner Oberarme ist eine vermummte Kriegerin tätowiert. In ihren Händen trägt sie zwei rauchende Pistolen, zu ihren Füßen liegt ein Totenkopf im Sand. Über ihrem Kopf schwebt ein weiterer Totenschädel, der einem SS-Totenkopf auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich sieht. Auf dem anderen Arm prangt das Siegelwappen der preußischen Rheinprovinz. In altdeutscher Schrift steht dort „Rheinland“ und „Ehre & Treue“. Großer Beliebtheit erfreut sich das Wappen seit 2012 in der Kameradschaftsszene. Gedruckt auf weiße „T-Hemden“ und um den Schriftzug „Rheinland“ ergänzt, wurde es von mutmaßlichen Mitgliedern des „Aktionsbüro Mittelrhein“ an politische Mitstreiter vertrieben. Dass es zwischen Pulheimer Neonazis und dem Aktionsbüro regen Kontakt und Kooperation gab ist bekannt.
Im Gegensatz zu dem Tätowierten wirkt der 19-jährige eloquent und gut geschult. Geschickt kommt er vom Hölzchen aufs Stöckchen, wechselt Themen im Akkord, drischt seine Phrasen. Auf Widerspruch kann er kaum eingehen, was bei seinen DiskussionspartnerInnen das ein oder andere Mal angesichts dieser Beschränktheit für ein müdes Lächeln sorgt. Denn einen Aspekt gezielt zu besprechen ist ihm nicht möglich. Doch um Argumente gegeneinander abzuwägen, dazu ist er auch nicht hier.
…und markieren Revier
Die Gruppe ist hier um Raum zu markieren. In Sichtweite haben sich dazu die verbleibenden vier jungen Männer positioniert. Links vom „Pulheim Putzmunter“-Stand sitzen zwei in Turnschuhen und Jeans. Einer von ihnen trägt ein Oberteil der Marke „Lonsdale“. Zur anderen Seite sitzen die anderen beiden. Der eine trägt Jogginghose, Kapuzenpullover und eine Bauchtasche von „Thor Steinar“, der letzte Jeans und Bomberjacke. Sie behalten das Geschehen im Blick, beobachten aus der Ferne. Immer mal wieder vorbeifahrende Polizeibeamte schauen aus ihrem Fahrzeug auf die auffälligen jungen Männer. Doch sie steigen weder aus, noch beobachten sie das Geschehen länger. Zu dem Zeitpunkt befinden sich noch weitere Neonazis an anderen Orten in der Stadt. Später wird mindestens ein Teil von ihnen gezielt zum Bahnhof kommen, um Abreisende Teilnehmer von „Pulheim Putzmunter“ abzufangen.
Prominente Unterstützung erhalten die Engagierten von Pulheims Bürgermeister Frank Keppeler, der am Samstag Morgen auch auf den zentralen Marktplatz gekommen ist. Gefragt nach dem Polizeieinsatz gibt er an, dass der zivil gekleidete polizeiliche Staatsschutz heute sicherlich ein wachsames Auge auf das Geschehen in der Stadt werfen würde. Ein Irrtum, wie sich herausstellen wird.
Denn nach Beendigung der Aktion erwartet eine zunächst vierköpfige Gruppe Neonazis vorherige TeilnehmerInnen und den Autor dieser Zeilen am etwas abseits gelegenen Bahnhof. Sie verlangen die Löschung von angeblichen Portraitaufnahmen. Im Laufe der nächsten Minuten treffen weitere Neonazis ein, die sich zuvor an anderer Stelle aufgehalten haben müssen. Am gut besuchten Bahnhof kommt es nicht zu Handgreiflichkeiten.
Die Polizei wird gerufen, eine Streife trifft ein. Mit einem Blick auf den Presseausweis ist die Situation schnell geklärt. Die Rechten verschwinden teilweise zurück in der Stadt, andere steigen in die nächsten Züge ein.
Schon bei vorhergegangenen Putzaktionen kam es in Pulheim zu Kontakten mit Neonazis. Im Mai 2012 fotografierten Neonazis die TeilnehmerInnen. Die diesmalige Reaktion der Braunszene stellt eine erneute fortgeschrittene Provokation dar. Es liegt nicht nur an der Zivilgesellschaft, sondern auch an Politik und Polizei ihr Engagement gegen Rechts zu erhöhen und der Raumnahme der Rechten entgegen zu treten.
(mb)