Rechte Gewalt, organisierter Neonazismus, Rechtspopulismus, Rassismus und Antisemitismus gehören auch in Nordrhein-Westfalen zum Alltag. Wie sieht es konkret im Regierungsbezirk Köln aus? Hans-Peter Killguss und Hendrik Puls von der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln werfen einen Blick zurück auf das Jahr 2012.
Auf exakt 7.365 km² erstreckt sich der Regierungsbezirk Köln zwischen dem Aachener Land im Westen und dem Bergischen Land im Osten sowie zwischen Leverkusen und Bonn in Nord-Süd Richtung. Regionales Zentrum ist die Millionenstadt Köln. Als eine landesweit wahrgenommene „Hochburg des Rechtsextremismus“ gelten die westlichste Großstadt Aachen und die sie umgebenden Landkreise.
Das Jahr 2012 war – und das gilt wohl für alle, die sich mit der extremen Rechten auseinandersetzen – ganz wesentlich geprägt durch die Folgen der rassistischen Mord- und Anschlagsserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), der sich auch zu zwei Anschlägen in Köln bekannt hat. Bislang gibt es jedoch in Bezug auf die Bombenattentate in der Probsteigasse (2001) und der Keupstraße (2004) keine neuen Ermittlungsergebnisse über mögliche TathelferInnen aus einer lokalen Neonazi-Szene. Deutlich wurde hingegen, dass 2004 die Ermittlungsbehörden einen möglichen rechtsterroristischen Hintergrund früh ausschlossen und entsprechende Hinweise und Spuren unzureichend verfolgten. Da in NRW kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingerichtet wurde, stehen die Chancen zur vollständigen Aufklärung des Geschehenen schlecht.
Verbote von Neonazi-Kameradschaften
Die gesellschaftliche Diskussion um den NSU wie um die Versäumnisse und blinden Flecken der Behörden haben jedoch dazu geführt, dass der Staat sich zum Handeln aufgefordert sah. Zuerst traf es das im nördlichen Rheinland-Pfalz und südlichen NRW agierende „Aktionsbüro Mittelrhein“ (ABM), dem die Staatsanwaltschaft Koblenz eine Reihe von gemeinschaftlich geplanten und begangenen Gewalttaten – vor allem gegen den politischen Gegner – vorwirft und deswegen gegen 33 Personen Ermittlungen wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigungen einleitete. Bei 28 Neonazis wurde ein Haftbefehl vollstreckt, ein Teil sitzt noch immer in U-Haft. Betroffen waren auch Angehörige der Kölner und Bonner Szene, die eng mit dem ABM zusammen gearbeitet hatten. Zurzeit läuft ein großes Gerichtsverfahren in Koblenz.
Im April folgten Razzien gegen die Radevormwalder Neonazi-Kameradschaft „Freundeskreis Rade“. Die Polizei wirft dieser ebenfalls die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ vor. Bei den Durchsuchungen wurde ein umfangreiches Waffenarsenal beschlagnahmt. Auch die Räumlichkeiten der Fraktion von „pro NRW“ in Radevormwald wurden durchsucht. Mitglieder des neonazistischen „Freundeskreises“, die für schwere Gewalttaten gegen MigrantInnen und vermeintliche politische GegnerInnen verantwortlich sind, waren auch als Kandidaten oder sachkundige Bürger für „pro NRW“ aktiv. Im Fraktionsbüro sollen Flugblätter der Neonazis kopiert worden sein.
Im Laufe des Jahres zerbröselte die zweiköpfige Fraktion von „pro NRW“ in Radevormwald durch den Rückzug eines Mandatsträgers sowie des Ausschlusses des Fraktionsvorsitzenden Tobias Ronsdorf – ein herber Schlag für die selbsternannte pro-Bewegung, die in der oberbergischen Stadt ein Vorzeigebeispiel für die Organisierung Jugendlicher gesehen hatte. Auch wenn der „Freundeskreis“ nicht mehr als Organisation öffentlich auftritt, sind Radevormwalder Neonazis weiterhin aktiv.
Im Mai verbot das Innenministerium die „Kameradschaft Köln“. Hintergrund war die Inhaftierung von führenden Mitgliedern im Zuge des AB Mittelrhein-Verfahrens. Axel Reitz, Kopf der Kölner Kameradschaft und bundesweit bekannter Neonazi, belastete seine „Kameraden“ und wurde als einer von Wenigen aus der U-Haft entlassen. Reitz gilt in der Szene nun als Verräter. Einzelne neonazistische Aktivitäten in Köln sind jedoch weiterhin zu beobachten, beispielsweise in Form von Schmierereien oder Bedrohungen. Im Kölner Norden agieren zudem die „Autonomen Nationalisten Pulheim“.
Im August wurden schließlich die drei Neonazi-Gruppen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL), „Kameradschaft Hamm“ und „Nationaler Widerstand Dortmund“ (NWDO) verboten. Bei der bis dato größten Polizeiaktion gegen Neonazis in NRW durchsuchten über 900 BeamtInnen zahlreiche Wohnungen, Haftzellen und Gruppenräume. Dabei wurden Vereinsvermögen und Vereinsbesitz sowie Waffen und Propagandamaterial sichergestellt. Während in diesem Zusammenhang auch ein Verbot des „Nationalen Antikriegstages“, der zentralen Veranstaltung des NWDO, Bestand hatte, war eine „Mobilisierungstour“ für dieses Szeneevent mit bundesweiter Ausstrahlung (die kurzfristig zu einer Art Protestaktion gegen die Verbote umfunktioniert wurde) im RB Köln möglich. Organisiert wurden die Kundgebungen u.a. von KAL-Aktivisten sowie den „Freien Kräfte Oberberg“, einer in Gummersbach und den umliegenden Städten und Dörfern aktiven Kameradschaft.
Welche langfristigen Folgen die staatlichen Repressionsmaßnahmen haben, muss noch beobachtet werden. Für die Szene zentrale Aufmärsche wie in Stolberg (April 2012) sowie die von Dortmund nach Bonn verlegte 1. Mai-Demonstration wiesen eine geringere Beteiligung auf. Die Inhaftierung von wichtigen Kadern im Zuge des „AB Mittelrhein“-Verfahrens schränkte die Mobilisierungsfähigkeit offenbar ein. Die Dortmunder Neonazis haben sich durch den Eintritt in die Partei „Die Rechte“ eine neue Organisationsform gegeben und konnten auch ihre beschlagnahmte Infrastruktur teilweise ersetzen. „Die Rechte“ ist zum Auffangbecken für die Mitglieder verbotener Kameradschaften geworden. Im RB Köln wurde ein Kreisverband Rhein-Erft des von Christian Worch initiierten Parteiprojektes gegründet, der von AktivistInnen der „Autonomen Nationalisten Pulheim“ unterstützt wird.
Mitglieder der KAL haben eine Klage gegen das Verbot ihrer Kameradschaft eingereicht. In Aachen traten Neonazis vermehrt in der Fanszene des Fußball-Drittligisten „Alemannia Aachen“ auf. Fangruppen wie die „Karlsbande Ultras“ und die Hooligans des „Westwall Aachen“ sind wegen ihrer Kontakte zu Neonazis sowie Angriffen auf antirassistische Fans in die Kritik geraten. Der Verein reagierte auf dieses Problem nur zögerlich. Gewaltbereite Neonazis fanden in der Fanszene ein Betätigungsfeld und Rekrutierungsmöglichkeiten.
Pro NRW dreht an der Eskalationsschraube
Im Zuge der nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im Mai veranstaltete die extrem rechte „Bürgerbewegung pro NRW“ vor Moscheen in 25 Städten Kundgebungen unter dem Motto „Freiheit statt Islam“. Die Partei stellt „den“ Islam pauschalisierend als eine fremde, mit der Demokratie nicht vereinbare Kultur dar, die ihrer Meinung nach in Europa keine Existenzberechtigung habe. Bei ihrer Tour setzte „pro NRW“ auf die selbsterklärte Strategie der „maximalen Provokation“: An jeder der 25 Stätten muslimischen Glaubens wurden von „pro NRW“-Anhängern „Mohammed-Karikaturen“ gezeigt. In der Regel ließen sich die muslimischen Gemeinden nicht auf diese gezielte Provokation ein. Allerdings eskalierte die Lage am 1. Mai in Solingen und am 5. Mai in Bonn, als gewaltbereite Anhänger der islamistischen Salafisten sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, die „pro NRW“ und ihre Gegner auf Abstand hielten.
Durch massives Plakatieren und die landesweite Wahlkampftour machte sich „pro NRW“ auf der Straße und in den Medien bemerkbar. Mit insgesamt 1,5 % der Stimme verzeichnete „pro NRW“ insgesamt eine Zunahme von 0,1 % gegenüber der Landtagswahl von 2010. Die Wahlergebnisse zeigen, dass die Partei in ihren „Hochburgen“ (Köln, Leverkusen, Radevormwald, Duisburg) teils große Verluste einstecken musste, in der Fläche jedoch leicht zulegte. Mit der Ankündigung, das umstrittene Schmäh-Video „Die Unschuld der Muslime“ öffentlich zeigen zu wollen, erlangte die „pro“-Bewegung, die sich gerne als Hüterin von Meinungsfreiheit und liberaler Werte inszeniert, im September nochmals öffentliche Aufmerksamkeit. Zeitgleich gründete sich der „Ring Freiheitlicher Jugend“, an dem neben Funktionären von „pro NRW“ auch die „Republikanische Jugend“ und die islamfeindliche „German Defence League“ (GDL) vertreten sind. Mit Infoständen und dem Magazin „Objektiv“ versucht man offensiv auf SchülerInnen zuzugehen.
Dennoch lief 2012 nicht alles rund für die rassistische Bürgerbewegung: Aktive Kader traten aus oder zogen sich zurück, der Aufbau von Kreisverbänden in der Fläche kommt nicht voran, mit den „Identitären“ ist eine Konkurrenz im rechten Lager erwachsen und im Oktober wurde in Köln ein Ermittlungsverfahren wegen bandenmäßigen Betrugs gegen zahlreiche Parteifunktionäre und Mitglieder eingeleitet. Es sollen Protokolle gefälscht worden sein, um weitere Sitzungsgelder zu kassieren. Ein Mitglied der 5-köpfigen Kölner Ratsfraktion wurde in diesem Zusammenhang in Untersuchungshaft genommen.
Trotzdem bleibt „pro NRW“ weiterhin die stärkste Partei der extremen Rechten in NRW. Bei der Landtagswahl erzielte die NPD mit 0,5 % eines ihrer schlechtesten Ergebnisse. Die NPD ist, nachdem einige Aktivposten im Aachener und Dürener Raum die Partei im Streit verlassen haben, im RB Köln kaum wahrnehmbar. Parteiaktivitäten wie im Rhein-Sieg-Kreis sind eher die Ausnahme.
Weitere Entwicklungen
Nicht unbeachtet bleiben sollten die vielen weiteren Ereignisse im Bereich der organisierten extremen Rechten im Regierungsbezirk, von denen die Festnahme des Moderators des Thiazi-Forums (eine der wichtigsten neonazistischen Internetplattformen) oder die Auseinandersetzungen innerhalb des Verbandes „Deutsche Burschenschaft“ (eine der tonangebenden Verbindungen des rechten Flügels kommt aus Bonn) nur beispielhaft erwähnt seien.
Viele weitere Informationen zur extremen Rechten in der Region finden sich auf unserer Homepage unter https://archiv.mbr-koeln.de/vor-ort/
Ob es die Mobile Beratung, zu deren Aufgaben auch die Dokumentation gehört, auch über das Jahr 2013 hinaus geben wird, ist derzeit fraglich. Zu hoffen bleibt, dass die Einsicht erwächst, dass zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus eine kontinuierliche Förderung braucht.
Einen Überblick über die Aktivitäten der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Köln über das Jahr 2012 finden Sie im Jahresbericht des NS-Dokumentationszentrum, der 2013 erscheinen wird.