Zum 70. Mal jährte sich am 20. Juli der Tag der Deportation von Jüdinnen und Juden aus dem Großraum Köln. Im Gedenken an die Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus versammelten sich am späten Nachmittag etwa 150 Menschen in der Kölner Südstadt. Vor dem einstigen Wohnhaus von Dr. Erich Klibansky, dem ehemaligen Direktor der jüdischen Jawne-Schule in Köln, wurde auf vielfältige Art und Weise im öffentlichen Raum erinnert. Schließlich sei das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus nicht ausschließlich in Museen zu verbannen, sondern gehöre in den Alltag der Menschen, so ein Redner.
Zumindest für einige Stunden ist der Lebensweg Kölner Jüdinnen und Juden in der Volksgartenstraße, wo die Kundgebung stattfand, gut sichtbar und damit im Alltag vieler KölnerInnen angekommen. An zahlreichen Bäumen hingen Zettel, die an einige der deportierten Jüdinnen und Juden erinnerten. Zwei Informationstafeln stellten Dr. Erich Klibansky und die Jawne-Schule näher vor. Durch den offenen Charakter der Kundgebung blieben PassantInnen stehen, betrachteten die kreative Gestaltung der Straße, hörten den Reden zu oder lauschten den vorgetragenen Liedern.
Unter den TeilnehmerInnen befanden sich auch Überlebende der Shoah, die heute wieder in Köln leben. Zwei davon sind ehemalige Jawne-Schüler. Ihr Überleben haben sie im besonderem Maße dem ehemaligen Direktor der Jawne zu verdanken. Früh erkannte Dr. Klibansky, dass es für Jüdinnen und Juden keine Zukunft in Nazideutschland geben würde und ergriff daher Schritte, um die SchülerInnen auf ein Leben außerhalb Deutschlands bestmöglich vorzubereiten. Beispielsweise indem er eine englischsprachige Abschlussklasse einrichtete.
Gesetze und Verordnungen der Nationalsozialisten beschränkten immer mehr die Rechte jüdischer BürgerInnen, einige wirkten sich auch unmittelbar auf den Schulunterricht aus. Beispielsweise wurde der Anteil von jüdischen SchülerInnen in Klassen im April 1933 auf 1,5% begrenzt. 1939 wurde ihnen der Schulbesuch in öffentlichen Schulen gänzlich untersagt. Auch deshalb wuchs die Bedeutung der Kölner Jawne, die dann auch zahlreiche jüdische SchülerInnen beispielsweise aus dem Ruhrgebiet unterrichtete. 1938 wurde die Schule in der Reichspogromnacht verwüstet und 1941 gänzlich geschlossen.
Trotz, oder gerade wegen der Repression des nationalsozialistischen Staates und der gesellschaftlichen Isolierung und Ausgrenzung, gelang es Jawne-Direktor Klibansky 1939 mit Kindertransporten, per Eisenbahn und Schiff, 130 Kölner SchülerInnen nach England zu retten. Unbegleitet von ihren Eltern konnten so einige Shoah und Weltkrieg im Exil überleben. Die Dankbarkeit der Überlebenden für ihren Direktor, den sie als sensiblen und „herzensguten Menschen“ bezeichnen, beeindruckt viele KundgebungsteilnehmerInnen. Ihre Beiträge sind sehr persönlich, emotional bewegend und vermitteln eindrucksvoll persönliche Schicksale.
Viele andere Jüdinnen und Juden dagegen wurden 1942 mit dem „Transport DA 219“ vom Köln-Deutzer Bahnhof Richtung Minsk deportiert. Für die mindestens 1164 Menschen, unter ihnen auch Dr. Klibansky und sein Familie, bedeutete dies den sicheren Tod. Nach vier Tagen Zugreise, davon die meiste Zeit zusammengepfercht in überfüllten Viehwaggons, kam der Zug schließlich in Minsk (heutiges Weißrussland) an. Auf der Postkarte eines deportierten Schülers bittet dieser um die Nachsendung seines Zeugnisses, denn dieses sei dort wo sie hinkämen „von Wert“. Die Nationalsozialisten hatten ihnen zu Beginn der Deportation gesagt, sie würden in der Ukraine in der Landwirtschaft arbeiten. Die Karte war sein letztes Lebenszeichen. Noch am Tag der Ankunft wurden die Deportierten in die Nähe des nicht weit entfernten Ortes Trostenez gebracht und im nahegelegenen Wald von Blagowtschina erschossen. Insgesamt, so schätzt man heute, sind dort mehr als 150.000 Menschen ermordet worden. Unter den Deportierten aus Köln befanden sich viele Kinder, die früher in den Kinderheimen in der Lützowstraße und der Aachener Straße untergebracht waren, sowie ehemalige SchülerInnen der Jawne. Allein 118 der Deportierten waren unter 10 Jahre alt.
„Wenn beim Gedenken der Bezug zur Gegenwart fehlt, ebnet das den Weg ins Vergessen“, äußert sich ein Organisator zum Abschluss der Kundgebung. Gerade Musik, ergänzt einer der Musiker zum Schluss, habe die Kraft dem Vergessen entgegen zu wirken. Etwa indem man die Lieder von PartisanInnen und Verfolgten spiele. Musik, so heißt es ja auch, macht unsterblich. (ak/jmg)
Die Jawne ist heute noch als Lern- und Gedenkort in der Albertusstraße 26 zugänglich. Weitere Informationen unter: www.jawne.de