Moderator von Neonazi-Forum „Thiazi“ arbeitete als „Deeskalationstrainer“

Mitte Juni begann die bürgerliche Fassade zu bröckeln. Bei einer Razzia gegen mutmaßliche Betreiber des neonazistischen „Thiazi“-Internetforums wurde auch eine Wohnung in Selfkant (Kreis Heinsberg) durchsucht. Ermittelt wird gegen Marian R., laut einer Antifa-Gruppe zeitweise der drittwichtigste Mann unter den Forenbetreibern. Besagter Gruppe liegen umfangreiche interne Daten vor, aus denen sie ihren Schluss zieht. R. jedoch fiel außerhalb der virtuellen Welt nicht als Neonazi auf. Er leitete die Station einer psychiatrischen Klinik, schrieb Texte über Gewaltdeeskalation und schulte sogar Polizisten und antirassistische Initiativen.

Razzia gegen größtes Neonaziforum

Der Schlag gegen die Neonaziszene am 14. Juni schlug Wellen. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft Rostock führten an jenem Tag Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) mit Unterstützung der Polizei in elf Bundesländern Durchsuchungsmaßnahmen gegen die Betreiber des „Thiazi“-Forums wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung durch. Bei dem Forum handelt es sich um das bedeutendste deutschsprachige rechtsextremistische Internetforum. Durchsucht wurden 24 Wohnungen und Geschäftsräume.

BetreiberInnen des Forums

Hauptbeschuldigte waren ein 30-jähriger Erzieher aus einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern, sowie eine 30-jährige Hausfrau und Mutter aus Baden-Württemberg. Insgesamt 26 Beschuldigte im Alter von 22 bis 64 Jahren sind verdächtig, massenhaft Liedtexte und Tonträger zum Download angeboten zu haben. In den Liedtexten wird zum Hass gegen Ausländer, Juden und Menschen anderer Hautfarbe aufgestachelt und zu gewalttätigen Übergriffen gegen diese aufgerufen. Ferner werden der Holocaust geleugnet und die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht. Ähnliche Hetztexte fanden sich in den unzähligen Diskussionen der User. Das Forum „Thiazi“ ist seit der Razzia offline.

Auffällig war, dass der Erzieher und mutmaßliche Kopf des Forums in seinem Privatleben nicht als Neonazi auffiel. Offenbar lebte er in zwei Welten: virtuell Betreiber eines Neonaziforums, real Erzieher in einem Kinderhort. Befragte Eltern sagen, der Mann habe nie versucht, die Kinder zu indoktrinieren, auch Kollegen ist an dem Mann nichts aufgefallen. Auch R. aus Selfkant scheint eine solche Biografie vorzuweisen. Mindestens bis 2010 sei er der „dritthöchste ‚Thiazi’-Moderator“ gewesen, teilt die „Autonome Antifa Freiburg“ mit. Der Gruppe aus dem linksradikalen Spektrum liegen seit geraumer Zeit interne Daten über das Forum und über neonazistische Äußerungen von R. unter dessen Foren-Pseudonym vor.

Thiazi-Moderator arbeitete als „Deeskalationstrainer“

Zugleich leitete R. eine Akutstation des Krankenhauses für Psychiatrie in Gangelt und fungierte freiberuflich als Deeskalationstrainer in den Bereichen Polizei-, Justiz-, Medizin- und Schulwesen sowie für Initiativen gegen Rechts. R. schrieb zudem mit Tim Bärsch, Diplom-Sozialarbeiter und Sozialpädagoge sowie Chef einer anerkannten Initiative für Deeskalation und Gewaltprävention aus Essen, Sachbücher zum Thema. Bei einem Verein für Gewaltprävention von Bärsch fungierte R. sogar als Antirassismusbeauftragter.

Nach bekannt werden der Ermittlungen haben die Bärsch-Initiativen alle Angaben zu R. von ihren Homepages entfernt und die Zusammenarbeit mit ihm beendet. Bärsch selbst fiel aus allen Wolken, als er von den Ermittlungen gegen R. erfuhr. Sein – nun ehemaliger – Kompagnon sei nie aufgefallen mit rechten Äußerungen, heißt es dazu. Ein ähnliches Dilemma erlebt auch die Geschäftsführung der Maria Hilf NRW gGmbH, die die psychiatrischen Einrichtungen in Gangelt betreibt.

Das Unternehmen distanziere „sich mit Nachdruck von dem Verhalten, das dem Mitarbeiter vorgeworfen wird,“ sagt Pressereferentin Martina Flügel. Nachdem man von den Ermittlungen erfahren habe, sei aufgrund einer „Anhörung des Mitarbeiters“ das Arbeitsverhältnis „unverzüglich beendet worden“, so Flügel. Man betone, dass es während der über dreijährigen Tätigkeit des Mannes „keinerlei Anzeichen“ gegeben habe, „die auch nur den Verdacht auf eine wie auch immer geartete Verbindung des Mitarbeiters mit der rechtsextremen Szene hätten begründen können.“

Ein Beitrag von Michael Klarmann/mik

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