„Mobile Beratung in NRW“: Was jetzt zu tun ist.
Die Taten der Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt, der mutmaßlichen Mittäterin Beate Zschäpe sowie eines noch zu ermittelnden Netzwerks haben auch in NRW Betroffenheit und Verunsicherung hervorgerufen. Nicht allein durch den Mord an Mehmet Kubasik im April 2006 in Dortmund sowie den Nagelbomben-Anschlag in der Keupstraße in Köln im Juni 2004 wird immer offensichtlicher: Rechte Gewalt ist kein „ostdeutsches“ Problem. Sie stellt auch hier im Land einen Angriff auf die demokratische Gesellschaft dar. Vor allem aber bedeutet sie eine reale Bedrohung für all jene, die von der extremen Rechten zu Feinden und Gegnern erklärt werden.
In Neuss wurde im März 2011 ein Obdachloser von einem Neonazi und seinem Bekannten zu Tode geprügelt. In Aachen wurden im Februar 2011 zwei junge Neonazis wegen Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens, Volksverhetzung und Sachbeschädigung verurteilt. In Wuppertal überfielen im November 2010 rund 20 vermummte Neonazis die Kinopremiere des Films „Das braune Chamäleon“, in den letzten Monaten häufen sich die Übergriffe auf nicht-rechte Jugendliche in der Region. Immer wieder „besuchen“ Mitglieder der rechten Szene landesweit Veranstaltungen von Kirchengemeinden, Gewerkschaften und anderen Gruppen, die sich kritisch mit Rassismus und Rechtsextremismus auseinandersetzen, um dort in die Diskussionen einzugreifen und letztendlich deren TeilnehmerInnen einzuschüchtern. Die gewaltbereite Szene im Großraum Dortmund ist mittlerweile durch zahlreiche Übergriffe auf MigrantInnen und politisch Andersdenkende bundesweit bekannt geworden. Im November 2011 wurde ein Türkischstämmiger durch einen Dortmunder Neonazi schwer verletzt, der zuvor wegen Totschlags an einem Punker im Gefängnis gesessen hatte und vorzeitig aus der Haft entlassen worden war.
Doch neben diesen – hier nur stellvertretend für viele weitere genannten – Aufsehen erregenden Fällen ist die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten zwischen Rhein und Weser eine ständige und langfristige Herausforderung. In vielen Gegenden sind „freie Kameradschaften“ oder Gruppen „Autonomer Nationalisten“ aktiv, die mit ihrer völkisch-rassistischen Propaganda in modernem Look versuchen, im Alltag an Einfluss zu gewinnen und Angst zu erzeugen. An jedem zweiten Tag wird in Nordrhein-Westfalen eine rechts motivierte Gewalttat registriert – das Dunkelfeld ist vermutlich viel größer. Von bundesweit 41 rechts motivierten Schändungen jüdischer Friedhöfe im Jahr 2010 ereigneten sich 11 in NRW.
In einigen Stadträten und Kreistagen sitzen Parteien wie die NPD oder die „Bürgerbewegung pro NRW“, die mit islamfeindlichen und populistischen Programmen versuchen, Debatten um Integration und Zusammenleben zu instrumentalisieren. Ihr Ziel besteht darin, Ängste und Vorurteile von BürgerInnen weiter zu schüren und auf diese Weise eine politische Stimmung zu schaffen, die von Ausgrenzungen und Ungleichwertigkeitsvorstellungen geprägt ist. Nicht zuletzt durch die schrille „Sarrazin-Debatte“ ist auch das gesamtgesellschaftliche Klima rauer geworden – MigrantInnen, die sowieso alltäglichen Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt sind, berichten seither vermehrt von dem Gefühl, nicht dazu zu gehören.
Gegenwärtig stehen vor allem Fragen nach dem Versagen der Ermittlungsbehörden und die Debatte um ein mögliches Verbot der NPD im Mittelpunkt. Aus unserer Sicht bleiben damit aber wichtige Punkte unberücksichtigt:
Die Opfer der Morde und Anschläge rücken nur langsam in den Fokus der Öffentlichkeit. Ihnen wie auch anderen von rechter Gewalt Betroffenen muss nun die Solidarität und Aufmerksamkeit von Gesellschaft, Politik und staatlichen Stellen gelten. Alltäglicher und oftmals nicht hinterfragter Rassismus, wie er nicht zuletzt in dem vielfach gebrauchten Begriff „Dönermorde“ zum Ausdruck kam, muss thematisiert werden.
Zudem muss das Engagement derer, die sich in den Städten und Gemeinden des Landes in der ersten Reihe für Demokratie einsetzen, gewürdigt und unterstützt werden. Dazu gehört auch, Proteste gegen extrem rechte Aktivitäten nicht zu kriminalisieren. Vielmehr sind nicht-rechte Jugendliche, BürgerInnenbündnisse, Netzwerke und Initiativen in ihrem Engagement ernst zu nehmen.
Die fünf „Mobilen Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus in NRW“ stehen seit 2008 Aktiven vor Ort zur Seite, die sich im Alltag für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzen. Wir beraten Schulen, Kommunen, Initiativen, Vereine/Verbände, Unternehmen uvm., bieten Hilfe zur Selbsthilfe, dokumentieren Aktivitäten der rechten Szene und vernetzen uns und andere in den Regionen NRWs. Dabei arbeiten wir mit der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus in der Landeszentrale für politische Bildung, aber auch vielen Partnerinnen und Partnern aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft eng zusammen, beispielsweise mit dem Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in NRW (IDA-NRW), der Forschungsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf, dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage NRW“, der DGB-Jugend, dem Landesintegrationsrat und dem Arbeitskreis Ruhr gegen rechte Tendenzen bei Jugendlichen (AK Ruhr).
Unsere Arbeit ist jedoch abhängig von Fördergeldern des Bundes, die nur eine unzureichende Ausstattung gewährleisten und keine langfristige Perspektive bieten (die aktuelle Förderphase endet 2013). Das Land NRW fördert seit Jahren unterschiedliche Projekte im Bereich der Rechtsextremismusprävention – was uneingeschränkt zu begrüßen ist. Zudem wurden in diesem Jahr erstmals Gelder für den Aufbau von dringend benötigten Beratungseinrichtungen (je eine im Rheinland und in Westfalen) für Opfer rechter und rassistischer Gewalt bereitgestellt. Gleichwohl gibt es im Gegensatz zu anderen Bundesländern in Nordrhein-Westfalen bisher kein eigenes Landesprogramm gegen Rechtsextremismus und für Demokratie, das bestehende Angebote im Sinne einer umfassenden Strategie vernetzt und fördert. Die Einrichtung eines solchen Landesprogramms würde die gute Arbeit im Land langfristig sicherstellen sowie gewährleisten, dass die Beschäftigung mit Rassismus, Antisemitismus und der extremen Rechten nicht nur als Reflex auf spektakuläre Gewalttaten, sondern als Antwort auf ein gesellschaftliches und langfristiges Problemfeld gesehen wird.
Gemeinsam mit anderen Beratungsteams und Opferberatungsprojekten in der Bundesrepublik haben wir den Appell „Was jetzt zu tun ist“ formuliert, der in 10 Punkten zusammenfasst, wie die Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus aus unserer Sicht sinnvoll geführt werden kann.
Mobile Beratung in NRW, 30. November 2011
Ansprechpartner für weitere Informationen:
Mobile Beratung im Regierungsbezirk Münster.
Gegen Rechtsextremismus, für Demokratie (mobim) im Geschichtsort Villa ten Hompel
0251 – 492 7109
www.mobim.info
kontakt@mobim.info
Mobile Beratung im Regierungsbezirk Arnsberg
Gewalt Akademie Villigst im Amt für Jugendarbeit der Ev. Kirche von Westfalen
02304 – 755 190
www.gewaltakademie.de
netzwerk@ajf-ekvw.de
Mobile Beratung im Regierungsbezirk Detmold
AKE Bildungswerk Vlotho
05733 – 871 2904
www.ake-bildungswerk.de
karsten.wilke@ake-bildungswerk.de
Mobile Beratung im Regierungsbezirk Düsseldorf
Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz
0202 – 563 2759
www.wuppertaler-initiative.de
sebastian.goecke@stadt.wuppertal.de
Mobile Beratung im Regierungsbezirk Köln
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus
0221 – 221 27162
archiv.mbr-koeln.de
ibs@stadt-koeln.de