Schweigen, um das Schweigen über Rassismus zu brechen

Samstag, 26.11.2011:
Gegen 13 Uhr stellen sich etwa 150 Menschen auf den Domtreppen auf – und schweigen. In den Händen halten sie die Namen jener Menschen, die Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) oder anderer Nazis wurden. Mitgebrachte rote Rosen sollen an die Opfer erinnern, weiße Rosen stehen angelehnt an die Widerstandsbewegung um die Geschwister Scholl während des Nationalsozialismus für Frieden. Für einen Moment scheint es, als seien alle Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz angesichts des „Silentmobs“ verstummt und sinnierten über die Verbrechen.

Dabei wollten die OrganisatorInnen nicht nur „der Opfer des rechten Terrors gedenken“, sondern auch der „schweigenden Mehrheit endlich ihre Augen öffne[n]“ und erreichen, dass diese „in den Spielgel sieht“. Es gehe auch darum, eine Diskussion über alltäglichen Rassismus anzustoßen. Schon die Bezeichnung „Dönermorde“ zeige, wie lebendig „ein alltäglicher Rassismus in den Köpfen der gesamten Gesellschaft“ sei. „Wir schweigen, damit Du Dein Schweigen brichst!“, lautet der Appell für ein friedliches und demokratisches Zusammenleben.

Nicht nur in Köln gedenken in diesem Moment zahlreiche Menschen der Toten. Ähnliche Aktionen finden auch in 15 anderen Städten statt. Organisiert hatte den bundesweiten Protest die Initiative „Schweigen gegen das Schweigen“.

 

Sprengstoffanschlag und Stigmatisierung

Vor sieben Jahren verübten zwei Männer einen Anschlag in der Mülheimer Keupstraße. Platziert auf einem Fahrrad explodierte eine mit Nägeln gespickte Bombe vor dem Friseursalon von Özcan Yildirim. 22 Menschen wurden hierbei verletzt, davon vier schwer. Nicht zufällig wurde die Bombe in einer Straße platziert, die bei vielen BürgerInnen besser als „Klein-Istanbul“ bekannt ist und vor allem mit Kriminalität assoziiert wird. Der Wiederaufbau des Salons kostete Yildirim 40.000 Euro.

Gegenüber der Polizei sagte der jüngere Bruder des Salonbesitzers nach der Explosion aus, er habe einen blonden Mann am Fahrrad gesehen. Der Verdacht: Auch ein „herkunftsdeutscher“ Neonazi könnte den Anschlag begannen haben. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) aber machte sogleich ein „kriminelles Milieu“ von „Ausländern“ für die Tat verantwortlich. Auch die Medien folgten scheinbar dieser Sichtweise. So sah etwa die Hürriyet den Anschlag im Kontext eines Streits zwischen russischer und türkischer Mafia. Schuldig gesprochen durch die Medien wurden so die BewohnerInnen der Keupstraße ein zweites Mal zu Opfern. Erst sieben Jahre später besteht Gewissheit. Verantwortlich für die Taten waren die Neonazis des NSU.

„Reitz kannte NSU definitiv“

Auch die Kölner Neonaziszene hatte offensichtlich Kontakte zur NSU. In einer Kneipe in Erftstadt-Gymnich fand 2009 die „Jahresabschlussversammlung der „Freien Kräfte Köln“ statt. Etwa 150 Nazis aus ganz NRW besuchten die Veranstaltung. Ausgerichtet wurde sie maßgeblich von Axel Reitz. Eben dieser, so ein Augenzeuge gegenüber dem WDR-Magazin „Monitor“, habe den drei Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos persönlich Eintritt zur Veranstaltung gewährt. „Der Herr Reitz kannte die definitiv“, stellt der Augenzeuge im Beitrag unmissverständlich fest. Reitz wiederum streitet auf Nachfrage ab, die drei gekannt und ihnen Zutritt zur Veranstaltung gewährt zu haben. Für die Antifa Erftstadt, die im Kölner Stadt-Anzeiger zitiert wird, zeigt dieser Vorfall „nicht nur die Vernetzung der Mörder und ihre weitreichenden Kontakte in die Szene“, sondern auch „wie nah und allgegenwärtig der Terror tatsächlich“ sei. Von der Stadt Erftstadt fordern sie deswegen „wirksame Maßnahmen gegen rechts“.

Ob es tatsächlich gelingt, eine breite gesellschaftliche Debatte über Alltagsrassismen anzustoßen bleibt abzuwarten. Aktion wie „Schweigen gegen das Schweigen“ können dazu beitragen. Bestärkt von der großen Resonanz vor Ort wollen die OrganisatorInnen der Initiative jedenfalls weitermachen in ihrem Kampf gegen Rassismus und Gewalt. (jmg)

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