Etwa 750 Nazis nahmen am 3. September an dem neonazistischen Aufmarsch zum „nationalen Antikriegstag“ in Dortmund teil. Die Demonstration wurde durch ein großes Polizeiaufgebot geschützt und ein großer Teil der Dortmunder Nordstadt weiträumig abgesperrt. Mehr als 10.000 GegendemonstrantInnen protestierten außerhalb der Absperrungen. Eine Sitzblockade von Nazi-GegnerInnen sorgte zudem für eine Verlegung der Demoroute.
„Und egal ob rot oder grün – wir werden alle Blockaden eigenhändig von der Straße fegen! […] Polizei und rotes Pack sind an dem Tag nicht auf unserer Seite und so werden wir das Geschick in die eigenen Hände nehmen“, donnerte Dennis Giemsch, führender Kopf des „Nationalen Widerstands Dortmund“ und Organisator des „nationalen Antikriegstags“ den rund 150 versammelten Neonazis am 27. August in Leverkusen entgegen. Eine Woche vor dem Großaufmarsch in Dortmund, wollte die Szene mit einer Kundgebungstour durch das Rheinland für ihren Event mobilisieren.
Dann kam es aber doch anders. Kurzerhand musste die Polizei die geplante Route der Neonazis ändern, weil eine Sitzblockade Teile der Route unpassierbar gemacht hatte. Die Polizei leitete die Neonazis durch andere Straßenzüge zum Ort ihrer Abschlusskundgebung am Dortmunder Hafen.
Mehrmals griffen TeilnehmerInnen der Neonazi-Demo missliebige Journalisten an. Die wenigen PassantInnen, auf die sie trafen, riefen vom Straßenrand „Nazis raus!“, spielten antifaschistische Musik bei geöffneten Fenstern oder verließen den Ort des Geschehens.
Im Großen und Ganzen liefen die Neonazis durch relativ verlassene Straßen ohne Zuspruch von Passanten oder Anwohnern zu bekommen. Viel mehr zeigten diese spontan durch Sprechchöre gegen den braunen Aufmarsch. Dementsprechend richteten sich die Redner vor allem an die eigenen Demonstrationsteilnehmer, um diese ideologisch zu festigen. Eine positive und offene Außenwirkung wurde auch schon durch die massive Polizeipräsenz verhindert. Es scheint als habe die Demonstration selbst vor allem eine stärkende Wirkung für die rechte Szene nach innen und weniger einen realen Einfluss auf die politische Überzeugung Außenstehender zu nehmen versucht.
Dezentralisierter „Antikriegstag“
Indirekt hatten sich die Dortmunder Neonazis vielleicht schon darauf eingestellt mit massivem Gegenprotest am 3. September konfrontiert zu sein. Wohl auch deshalb wurden Aktivitäten zeitlich und örtlich ausgelagert. Insgesamt sechs Kundgebungen und eine Demonstration, die nicht öffentlich bekannt gegeben wurden, steuerten Neonazis am 27. August in NRW und Rheinland-Pfalz an. Erfolgsmomente sollten auch die zahlreichen Aktivitäten in Dortmund schaffen. Neben massiven Werbeaktionen (Verteilen von Flyern, Aufhängen von Transparenten) fanden im Vorfeld des Aufmarsches auch kleinere Kundgebungen und Infostände statt. Eine mit etwa 250 Neonazis besuchte Demonstration am Vorabend des „nationalen Antikriegstages“ sollte der Szene ebenfalls ungestörte Erfolgsmomente bescheren, zumal dort zwei bekannte Rechtsrock-Bands aufspielten. Trotzdem zeigte sich auch am Vortag vereinzelter Protest an den Polizeiabsperrungen und eine bunte Gruppe junger und älterer AnwohnerInnen, der es gelang mit einer Sitzblockade den braunen Aufzug kurzfristig zu stoppen. Die Polizei entschloss sich, die Blockade nicht zu räumen, sondern die Neonazis wenige Meter von dieser entfernt vorbei zu leiten.
Immer wieder kam es in den vergangenen Wochen zu Angriffen und Sachbeschädigungen in Dortmund. Allabendlich patrouillierten Neonazis durch Dortmund und versuchten immer wieder vermeintliche und tatsächliche Gegner anzugreifen. Wohnhäuser und Büros von Nazi-GegnerInnen wurden mit Drohungen beschmiert, beim AStA der Uni wurden die Scheiben eingeworfen. Auch am Abend des 3. Septembers provozierten Neonazis: eine größere Gruppe war zum Friedensfest „Für Dortmund. Gegen Nazis“ gezogen, das die Stadt Dortmund in jenem Stadtteil Dorstfeld veranstaltete, in dem ein Großteil der Rechten wohnt. Die eintreffende Polizei nahm vorübergehend mehrere Neonazis in Gewahrsam.
Nazis gegen Krieg?
Im Zuge des Aufmarschs inszenieren sich Neonazis als KriegsgegnerInnen. Dabei geht es ihnen aber nicht darum jeden Krieg auf Grund humanistischer Beweggründe zu verurteilen. Vielmehr richtet sich die neonazistische Demagogie ausschließlich gegen vermeintlich imperialistische Kriege der USA und Israels. Da verwundert es auch wenig, dass Parolen wie „Juden raus – aus Plästina!“ die Aufmärsche akustisch dominierten. Deutlich wurde Dennis Giemsch auch in seiner Rede am 3. September, als er die eigentlichen Gründe für Kriege an der „Ostküste“ zu finden glaubte. „Ostküste“ steht im antisemitischen Denken als Chiffre für eine angebliche jüdische Dominanz über die USA, die Finanzwirtschaft und die Weltpolitik. Die vermeintliche Antikriegsrhetorik entpuppt sich damit als antijüdisches Ressentiment.
Für Giemsch und seine „Kameraden“ hat der Antikriegstag“ aber noch eine weitere Funktion. Vollmundig versuchte er in seiner Rede die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg abzustreiten, indem er behauptete, Deutschland und Polen hätten sich bereits vorher in einem „binationalen Konflikt“ befunden, wodurch der Weltkrieg als Folge dieses angeblichen Konflikts ausbrach. Außerdem, so Giemsch weiter, hätten England und Frankreich Nazi-Deutschland den Krieg erklärt. Dieser Logik folgend wird die Verantwortung für den Weltkrieg mit all seinen Verbrechen den alliierten Befreiern zugeschrieben und damit die Opfer des deutschen Angriffskrieges zu den Tätern gemacht. Nicht nur Antisemitismus, sondern auch Geschichtsrevisionismus bestimmten so die inhaltliche Ausrichtung des Aufmarsches.
Ungeklärte Übergriffe
Obwohl sich Kölner Neonazis eine Woche zuvor an rechten Demonstrationen in Pulheim, Bonn, Bad Neuenahr und Leverkusen beteiligt hatten, die explizit für die kommende Dortmunder Demonstration warben, blieben sie dem Aufmarsch im Ruhrgebiet größtenteils fern. Am Samstag kam es allerdings sowohl morgens als auch in den Abendstunden zu Angriffen durch Neonazis in Leverkusen. Insgesamt drei Personengruppen, die offenbar als AntifaschistInnen galten, wurden attackiert. Mindestens ein Mensch wurde dabei verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden. Auch wenn die Täterschaft noch nicht vollständig geklärt ist, spricht vieles dafür, dass Neonazis gezielt Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gegenproteste, die aus Dortmund zurück kamen, angreifen wollten.
Insgesamt beteiligten sich weniger Neonazis als in den Jahren zuvor an dem für die Szene so bedeutsamen neonazistischen Event im Ruhrgebiet. Im Gegensatz zu den letzten beiden Jahren konnten die Neonazis aber erstmalig wieder eine Demonstration und nicht nur eine wenig ereignisreiche stationäre Kundgebung durchführen. Der Aufmarsch dürfte so wieder an Bedeutung für die extrem rechte Szene gewinnen. (jmg)